Taumel der Gefuehle - Roman
Wenn du kompromittiert wirst, dann sollte es der Baron sein, der dich findet und im Namen deines Vaters Wiedergutmachung fordert.«
»Ich kann nicht so einfach kompromittiert werden, Louise. Du hast bereits darauf aufmerksam gemacht, dass ich sechsundzwanzig bin, ein Alter, das auf eine gewisse Reife schließen lässt. Ich kann sehr gut auf mich selbst aufpassen.«
»Unsinn. Du bist die Tochter des Earls von Rosemont, und du kannst deine Ehre ebenso schnell verlieren wie ein Mädchen in der Blüte seiner Jugend. Es kommt allein darauf an, wie man mit den Konsequenzen umgeht, das versichere ich dir.«
Elizabeth wusste, dass Louise eine Meisterin der Manipulation war. »Es scheint, dass bereits alles arrangiert ist«, seufzte Elizabeth.
»Mehr oder weniger.« Besorgt betrachtete sie Elizabeths leeren Gesichtsausdruck. »Du bist überspannt, meine Liebe. Ich vergesse immer wieder, wie leicht du zu schockieren bist. Man möchte annehmen, dass du nach all der Zeit...« In einer hilflosen Geste hob sie die Arme. »Aber nein, du hast keinen Sinn für derlei Arrangements. Deshalb ist es gut, dass der Baron und ich uns um dich kümmern.«
Mit aller Kraft unterdrückte Elizabeth ein Zittern.
»Würdest du mich bitte entschuldigen?«, entgegnete sie ruhig.
»Natürlich. Ich habe dich sowieso schon zu lange beansprucht. Harrison, so fürchte ich, ist immer noch beim Kartenspielen. Ich kann nur hoffen, dass er diesmal mehr Erfolg hat.«
Elizabeth erwiderte nichts. Sie ging aus dem Zimmer und eilte den Korridor entlang zu ihrem eigenen Schlafgemach im Nordflügel. Sobald sie die Tür hinter sich verschlossen hatte, lehnte sie sich über das Waschbecken in ihrem Badezimmer und entleerte den Inhalt ihres Magens in die Porzellanschüssel.
Viertes Kapitel
Mitten in der Nacht erhob sich Northam von seinem Bett. Er kleidete sich im Dunkeln an und verließ sein Schlafzimmer, ohne einen Kerzenhalter mitzunehmen. Vier Nächte waren vergangen, seit Southertons Schnupftabakdose verschwunden war, und North schalt sich immer noch, die vielleicht einzige Gelegenheit hatte verstreichen zu lassen, den Gentleman-Dieb zu stellen.
Dieser ungewöhnliche Dieb – falls man den Geschichten Glauben schenken konnte, die über ihn kursierten – scheute das Rampenlicht. Wenn er doch einmal auf frischer Tat ertappt wurde, was von Zeit zu Zeit vorkam, entschuldigte er sich bei dem Besitzer der Juwelen, die er gerade gestohlen hatte, für den unvermeidlichen Einbruch und verschwand, ohne eine Spur zu hinterlassen.
Northam gähnte mit weit aufgerissenem Mund. Heute Nacht, entschied er, würde er hinauf aufs Dach schleichen. In den ersten Tagen hatte er sich darauf konzentriert, die Geheimgänge zu erforschen, für die Battenburn berühmt war. Er hatte jedoch entschieden, dass der Dieb seine kostbare Zeit nicht mit einer ähnlichen Untersuchung vergeuden würde. Der Gentleman-Dieb war bekannt dafür, Wände und Mauern zu erklettern, um sich Einlass in die jeweiligen Häuser zu verschaffen, jedenfalls immer dann, wenn er keine Einladung zu einer Abendgesellschaft erhalten hatte.
Die Oberschicht war besonders von dem Umstand fasziniert, dass der Dieb aus ihren eigenen Reihen zu stammen schien. Lady Carvers Brosche war während des Winthrop Balls von ihrem Kleid entwendet worden. Als auch noch Lord Adamsons Uhr am selben Abend geraubt worden war, wurde klar, dass der Gentleman-Dieb unter den Anwesenden sein musste.
Die Zeitungen, die über das Treiben des Gentleman-Diebes berichteten, beschäftigten sich eingehend mit folgender Frage: Hatte der Dieb sein Können in den Elendsvierteln Londons erlernt und sich später die Umgangsformen eines Gentlemans angeeignet, oder hatte er sich auf das Diebeshandwerk vorbereitet, während er eine Privatschule wie Eton, Harrow oder Hambrick besuchte? Die Oberschicht hatte sich allerdings schnell ihre Meinung gebildet. Alle waren davon überzeugt, dass es sich bei dem Dieb um einen echten Gentleman handeln musste. Die oberen Zehntausend konnten es sich einfach nicht vorstellen, dass ein Mann des Volkes unter ihnen bestehen konnte, an ihren Vergnügungen teilnehmen oder während der Ballsaison mit ihren Töchtern tanzen konnte, ohne die richtige Haltung, Würde und gepflegte Umgangsformen an den Tag zu legen, die sie für angeboren hielten. Anzunehmen – wenn auch nur für einen Augenblick -, dass man erlernen könnte, eine Stellung in der Gesellschaft zu bekleiden, für die man nicht das Geburtsrecht innehatte,
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