Taumel der Gefuehle - Roman
»Es war unausweichlich, dass North an die Reihe kommen würde«, flüsterte er. »Welchen Unterschied macht es, ob er vor Euch dran ist?«
Es spielte eine entscheidende Rolle, doch sie konnte es Southerton nicht erklären. Sie bedachte ihn mit einem
gezwungenen Lächeln. »Ich möchte eine bessere Sicht haben«, sagte sie. »Bringt mich bitte nach vorne.« Obwohl er spürte, dass es keine gute Entscheidung war, geleitete er Elizabeth zum inneren Kreis der Zuschauer.
Jetzt, da Northam so nah vor Madame Fortuna saß, bemerkte er, dass sein erster Eindruck ihn getäuscht hatte. Die Falten um ihren Mund und die Augen hatten sich tief in ihre Haut gegraben. Leberflecke bedeckten ihre Handrücken, und sie schien ein wenig geschrumpft zu sein.
Northam lächelte verhalten, während sie die Karten mischte. Die Erinnerung an ihre erste Begegnung vor so vielen Jahren zauberte ein vergnügtes Grinsen in sein Gesicht.
»Etwas amüsiert Euch?«, fragte Madame Fortuna scharf.
Northam räusperte sich. »Nein, Madame.«
»Eure Kehle ist ausgetrocknet. Könnten wir hier etwas zu trinken bekommen?« Gebieterisch winkte sie Lord Battenburn. »Vielleicht einen Pfirsichbrandy.«
Entgeistert blinzelte Northam. » Pfirsichbrandy ?«
Madame Fortunas Gesichtsausdruck war regungslos. »Warum nicht? Ihr liebt Pfirsiche, nicht wahr, Mylord?« Sie hielt inne, da ein Lakai ein Tablett mit einer Karaffe und zwei Gläsern auf dem Tisch absetzte. Dann legte sie die Karten beiseite, gab dem Diener das Zeichen zu gehen und schenkte selbst ein. In Northams Fingern regte sich ein leises Kribbeln, als sie ihm das Glas zuschob.
»Es ist so, wie es immer war«, sagte sie ruhig. Ihre dunklen Augen brannten sich in sein Gesicht und teilten ihm unmissverständlich mit, dass auch sie sich ihr erstes Zusammentreffen ins Gedächtnis gerufen hatte. Seit jenem
Nachmittag auf dem Jahrmarkt vor vielen, vielen Jahren hatte Bess Bowles auf eine zweite Begegnung mit ihm gewartet. Sie war nicht sicher gewesen, wann oder wo sie stattfinden würde, aber sie wusste, dass sie sich wieder sehen würden. »Nur du«, erklärte sie ihm. »Es passiert nur bei dir.«
Northam furchte die Stirn. »Ich verstehe nicht.«
Ein heiseres Lachen war ihre Antwort. »Ich auch nicht.« Noch Wochen nach dem Jahrmarkt hatte sie in Angst und Schrecken gelebt, da sie fürchtete, erneut von dem zweiten Gesicht heimgesucht zu werden. Nachdem ihr niemals wieder etwas Derartiges zugestoßen war, hatte sie beinahe geglaubt, es sich eingebildet zu haben. Doch nur beinahe.
»Trink aus«, befahl sie, während sie die erste Karte auf den Tisch legte und gedankenversunken nickte. Sie war nicht überrascht, dass es sich um die mächtige Gewalt der Großen Arcana handelte. »Ein Opfer...«
Northam starrte auf das Bild, auf dem ein leerer Galgen und eine bereitgestellte Schlinge zu sehen war. Beinahe hätte er sich einen Finger zwischen Kragen und Hals geschoben. Ihm war bewusst, dass die Gäste mit angehaltenem Atem zusahen. »Es bedeutet nicht den Tod?«
»Um Himmels willen, nein! Darüber müsst Ihr Euch keine Gedanken machen. Es handelt sich um ein Opfer.« Theatralisch machte sie eine Pause und fügte dunkel hinzu: »Eine Verdammung.«
Mit einem einzigen Zug trank North das Glas leer. Dann sah er über die Schulter zu South. »Ich bin nur verdammt«, rief er grinsend, »nicht verloren.« Southerton hätte mehr als ein mattes Lächeln erwidern können, dachte North. Elizabeth, die neben ihm stand, schien jeden
Moment ohnmächtig zu werden. Immer noch grinsend drehte er sich wieder zu Madame Fortuna. »Ich bin beruhigt. Vielleicht könntet Ihr noch etwas sagen, damit sich auch die andern beruhigen? Wer verdammt mich?«
Madame Fortuna nahm die oberste Karte von dem Stapel und legte sie auf den Gehängten.
Gebannt starrte North auf die Karte mit der Kaiserin, die mit der Mutterrolle, dem Reichtum und der Natur in Verbindung gesetzt wird. Er warf der Wahrsagerin einen fragenden Blick zu.
»Eine Frau, die Euch nahe steht.«
Entsetzt sog Elizabeth hörbar die Luft ein. Um sie zu besänftigen, nahm Southerton ihre Hand in die seine und bedeutete ihr, sich still zu verhalten.
Obwohl es ihm einen Stich versetzte, fragte Northam mit glaubwürdiger Unbekümmertheit: »Meint Ihr es wörtlich oder im übertragenen Sinn?« Das erzielte die gewünschte Wirkung und verscheuchte die unerträgliche Angespanntheit, die sich über den Salon gelegt hatte.
Als Antwort darauf drehte die Wahrsagerin eine
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