Tausche Brautschuh gegen Flossen
schenke ich kaum Beachtung. Es ist das erste, das meine volle
Aufmerksamkeit genießt, das Bild mit der Unterschrift ›Christoph Storm, Inhaber/Tauchlehrer‹.
Vermutlich kennt er die Person gut,
die ihn fotografiert hat, denn sein Lächeln wirkt ungekünstelt und in seinen hellen
Augen liegt ein fröhliches Blitzen. Die glatten, kinnlangen Haare im schönsten Straßenköterblond
hat er aus dem Gesicht hinter die Ohren gestrichen. Umringt von Pressluftflaschen
hockt er vermutlich bei der Vorbereitung eines Tauchgangs und überprüft den Luftdruck
auf den Anzeigen. Sein schwarzer Neoprenanzug ist im Nacken halb geöffnet und schmiegt
sich wie eine zweite Haut an seinen Körper, der schlank ist und von der Sonne gebräunt.
Widerwillig fasziniert erfassen
meine Blicke jedes Detail der Fotografie. Von der Sonnenbrille, die auf dem Plattenweg
liegt, wandern sie zu den Palmwedeln, welche rechts ins Bild ragen und den blauen
Himmel kontrastieren. Immer wieder gleiten sie zurück zu dem großen Mann, der der
Inseltaucher sein soll. Als meine Augen vor lauter Starren zu brennen beginnen,
schließe ich die Seite und gehe wieder in den Chat.
Der Inseltaucher ist nicht mehr
online, doch er ist nicht ohne Nachricht gegangen.
›Ich bin mit 100 Sachen von der
Tauchschule nach Hause gefahren. So eilig habe ich es gehabt, mit dir zu tippen.
Das ist total verrückt!‹
Nach einem einsamen ›Lena?‹ und
einem unbeantworteten ›Hallo …?‹ hat er offenbar geglaubt, dass ich nicht mit ihm
reden möchte, und sich ausgeloggt. Oh! Mein! Gott!
Wieder kann ich nicht einschlafen. Selbst als
ich mich verkehrt herum ins Bett lege, was für gewöhnlich eine garantiert wirksame
Hilfe ist, will sich die träge Duseligkeit einfach nicht einstellen.
Es ist nichts
geschehen, sage ich mir, außer ein bisschen Bauchkribbeln hier, ein wenig Herzklopfen
da. Das sind Lappalien! Das passiert jedem früher oder später, verheiratet oder
nicht. Es wird vorbeigehen! Es wird enden, indem ich meinen verflixten Verstand
einschalte und mein Leben in die Hand nehme. Ich bestimme, was darin geschieht.
Nüchtern betrachtet
ist diese ganze Angelegenheit total lächerlich. Hätte ich Erwartungen daran, welche
wären es?
Verirre ich
mich imaginär nach Teneriffa, befördert mich mein doch halbwegs funktionierender
Verstand in die Wirklichkeit. Nie und nimmer werde ich die Ungewissheit herausfordern
und zu Christoph fliegen. Ich werde diesen Mann nie sehen. Warum sollte ich das
wollen? Und warum sollte er? Wir werden Fremde füreinander bleiben. Dank der paar
tausend Kilometer Entfernung.
Nur Dank der
Entfernung?
Wäre das anders, wohnte er in Deutschland?
Wären wir unter diesen Gegebenheiten längst auf dem Weg zueinander?
Was für ein gruseliger Gedanke!
Ich schwöre mir, dass ich nie wieder
in den Chat gehe und Christoph und Teneriffa ganz schnell vergesse.
Dies ist nicht die erste Trennung,
die Lukas und ich auszustehen haben. Bei Weitem ist es nicht die längste, und nie
zuvor war einer von uns anfällig für von Dritten provoziertes Herzklopfen. So sind
wir nicht. Wir brauchen sie nicht, irgendwelche anderen Gefühle für irgendwelche
anderen Leute.
Lukas ist das Weiß in all meinem
Schwarz, mein Kontrast, mein Ruhepol. Er ist der Mensch, dem ich in allen Dingen
des Lebens vertraue und den ich meine, mit jeder Faser zu kennen – eine mutige Annahme.
Lukas ist meine Familie fernab jedes italienischen Akzents, mein Zuhause, in das
ich heimkehre und in dem ich mich geborgen fühle. Manchmal ist er eine Herausforderung
und ein ordentlicher Batzen Arbeit, weil er so anders ist als ich und oftmals konträre
Vorstellungen hat. Doch ich liebe seine Herausforderungen, und er ist jede investierte
Minute Arbeit wert. Das Schönste ist jedoch – und dies ist ein wahres Geschenk,
keineswegs eine Selbstverständlichkeit –, dass es sich umgekehrt ebenso verhält.
Meine Gedanken schweifen zurück zu dem Tag vor fünf Jahren, als Lukas
und ich uns kennengelernt haben.
Mit zwei damaligen Freundinnen kam
ich von einer Dorfdisko, die ich nicht wirklich freiwillig besucht und in der ich
mich mäßig amüsiert hatte. Ich hatte den ganzen Abend Cola getrunken und saß hinter
dem Steuer. Wir plauderten und lutschten Nimm-2-Bonbons, die mir meine Großmutter
am Vortag zugesteckt hatte. Ich beteiligte mich heiter an der Konversation, da flutschte
mir mein Bonbon aus dem Mund. Die beiden anderen amüsierten sich sehr und unterstützten
mich nur wenig bei
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