Tausche Brautschuh gegen Flossen
meiner Suche nach der verschollenen Süßigkeit, die ich in der
Dunkelheit zu ertasten versuchte. Auch bei eingeschalteter Beleuchtung blieb das
Ding verschwunden, also zuckte ich die Schultern und schälte ein neues Bonbon aus
der Hülle.
Bei McDonald’s bestellten wir Erdbeermilchshakes
und gingen damit zurück zum Parkplatz, wo mein alter Opel in hinterster Reihe stand.
Auf dem Weg verfing sich der Absatz meines Stiefels in der Ritze zwischen zwei Pflastersteinen,
was meinen konstant kichernden Begleiterinnen abermals Anlass gab, über mich zu
lachen. Während ich mich abmühte, tippelten sie glucksend und an den Milchshakes
saugend weiter und krakelten besonders laut, als ich mich mit einem Ruck befreite
und einen Satz auf den Zebrastreifen machte, der vom Parkplatz zum Restaurant führte.
Das Lachen blieb ihnen in der Kehle stecken, denn in diesem Moment bog ein Sportwagen
mit lauter Musik im Wageninneren um die Ecke. Bremsen quietschten und der Motor
des schönen Gefährtes erstarb. Als sich die Fahrertür öffnete, wollten sich meine
Freundinnen nicht als zu mir gehörend outen und beieilten sich, zu meinem Wagen
zu kommen, um dort auf mich zu warten. Dessen war ich mir nur halb bewusst, da ich
vorrangig damit beschäftigt war, auf die nahen, meine Schienbeine beleuchtenden
Scheinwerfer zu stieren und Gedanken daran zu vergeuden, dass ich beinahe tot, mindestens
jedoch krankenhausreif gewesen wäre.
Ich blinzelte wohl ein-, zweimal
und zoomte auf Gegenwart. Als Erstes sah ich die Tänzerin. Eine schwarz-weiß-gescheckte
Tänzerin auf rotem Hintergrund, auf einem T-Shirt, wie ich mit zoom-out feststellte.
Es spannte sich um eine wohlgeformte Brust, links und rechts schauten gleichermaßen
ansehnliche Arme heraus. Zögerlich hob ich den Kopf und blickte in das Gesicht des
hübschesten Mannes, der mich je beinahe überfahren hatte. Er war nicht makellos
schön und aalglatt wie ein Model, seine Züge wirkten eher kantig. Grüne Augen unter
geraden Brauen fixierten mich. Sein voller Mund war zu einem schiefen Grinsen verzogen.
Seine Haare waren kurz und blond – nicht gebleicht, sondern echt.
Meine Knie wurden noch weicher.
Entgegen meiner sonstigen Vorliebe für alles Dunkle hatte ich schon immer eine Schwäche
für Blonde.
Bald gab sein Blick meinen frei
und wanderte tiefer … tiefer und blieb auf Höhe meines Busens hängen. Sein Grinsen
erstreckte sich nun auch auf den anderen Mundwinkel.
Der bissige Kommentar lag schon
auf meinen Lippen, da schaute er auf, tauchte abermals in meine Augen und sagte:
»Schicke Kette!« Nach einer mit Bedacht eingelegten Pause fügte er hinzu: »Netter
Kontrast!«
Eine Kette hatte ich zuletzt als
Zwölfjährige besessen, schoss es mir durch den Kopf. Als ich irritiert an mir hinabsah,
steckte ich mittendrin, im peinlichsten Moment meines Lebens.
Akkurat zentriert zwischen meinem
Brüsten und dem Revers meines Lederjacketts, auf den Grad genau senkrecht und rundgelutscht
klebte das orangefarbene Bonbon auf meinem hochgeschlossenen schwarzen Shirt. Im
spärlichen Licht der Nacht funkelte es wie ein unbezahlbarer Bernstein.
»Ich komm eben von Rügen«, murmelte
ich, den Blick noch immer auf das Nimm 2 geheftet, »und hab ihn bei Sassnitz am
Strand gefunden, du weißt schon, unterhalb der Kreidefelsen.«
»Und ich dachte, den gab’s im Happy
Meal.«
Sobald das Dröhnen des Blutes in
meinen Ohren nachgelassen hatte, wurde mir bewusst, dass er sich kaum noch halten
konnte. Ich prustete los. Auch er begann zu lachen, laut und herzlich. Am Ende krümmten
wir uns und konnten nicht aufhören, weil es dem anderen nicht gelang. Tränen liefen
mir übers Gesicht, meine Bauchmuskeln taten weh, beinahe hätte ich mich eingepullert.
Wann immer ich Luft bekam, keuchte ich »Happy Meal« und wurde erneut vom Lachen
gepackt, wenn ich ihn »Kreidefelsen« japsen hörte.
Irgendwann, als wir uns beide eingekriegt
hatten und nur noch ein bisschen kicherten, zog ich das Bonbon ab. Es war festgetrocknet
gewesen und hinterließ keine Rückstände auf dem Shirt. Ich steckte es in den Mund
und lutschte es weiter, langte dann in meine Jackentasche und bot ihm das letzte
verbliebene Bonbon an.
Da standen wir nun, in einer Freitagnacht
im April, lutschten Bonbons und betrachteten uns schweigend. Minutenlang.
In einer dieser Minuten wurde mir
klar, dass dies der Mann ist, den ich heiraten werde.
Im Spätprogramm eines Drittsenders läuft ›Herr der Gezeiten‹ mit Nick
Nolte und Barbra
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