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Tausche Brautschuh gegen Flossen

Tausche Brautschuh gegen Flossen

Titel: Tausche Brautschuh gegen Flossen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliane Kobjolke
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Streisand, ein Film, den ich schon immer mal gesehen haben wollte.
Eigentlich. Aber ›Herr der Gezeiten‹ ist ein Melodram, ein Genre, das generell schlecht
in meinen Alltag passt. Bin ich glücklich, mag ich keine Tragödien anschauen, im
anderen Fall bedarf es keiner fremden Dramen.
    Es wäre eine glatte Lüge, behauptete
ich, ich wäre in einer optimalen Drama-Anschau-Stimmung und hätte einen Ausgleich
zwischen Yin und Yang erzielt. Dass der Film ausgerechnet jetzt läuft, dass ich
zudem den Fernseher einschalte und auf dem Sender hängenbleibe, als der Titel eingeblendet
wird, kann deshalb nur als übles Pech bezeichnet werden oder als Teufelswerk.
    Die Geschichte um den deprimierten
Sportlehrer aus South Carolina, der vor seiner Ehe und der Vergangenheit davonläuft
und in den Armen der New Yorker Psychiaterin landet, ist zweifelsohne eine, an die
ich mich erinnern werde. Der Film ist wunderbar, von der ersten bis zur letzten
Szene. Spannend, ergreifend, erschütternd, gut gespielt. So melodramatisch, dass
ich am Ende wie ein Schlosshund heule.
     
    Es ist Dunkelstunde zwischen Mitternacht und Morgengrauen. Mit Ausnahme
von Momos Schnurren herrscht Totenstille. Nicht einmal mehr Autos, deren über die
Zimmerdecke wandernde Scheinwerferlichter ich zählen kann, fahren jetzt noch. Nicht
in dieser Stadt.
    Als ich es nicht länger aushalte,
werfe ich die Bettdecke so schwungvoll zurück, dass der Kater erschrickt und einen
Satz macht. Ich höre ihn flüchten und verschwinde in die andere Richtung, nach nebenan
in das einzig leerstehende Zimmer der Wohnung. Das spätere Kinderzimmer.
    So richtig leer ist es gar nicht.
Neben verschiedenem Gerümpel, unbenutzter oder zu reparierender Art, steht dort
meine Staffelei.
    Ich schalte die Stehlampe ein, die
das Zimmer in gemütliches Licht taucht, hocke mich auf den Schemel und durchstöbere
die Aquarellfarben nach welchen, die mir gefallen. Zinnoberrot? Sicher nicht! Französisch
Grün? Ein Witz! Zitronengelb? Wohl am allerwenigsten! Missmutig krame ich ein Lila
und ein helles Blau heraus, drücke die Farben auf die Palette und zücke den Pinsel.
Er wühlt sich durch die Masse, ist bald weder Lila noch Blau, sondern irgendetwas
Scheußliches. Die Leinwand verhöhnt mich mit beständigem Weiß. Mein Kopf ist leer.
Da ist nichts, kein Bild, keine Idee, nur fantasie- und talentloses Grau. Der Pinsel
rührt weiter über die Palette, wütender mit jedem Kreis.
    Ein Knurren ausstoßend, werfe ich
den Pinsel in eine Ecke, pfeffere die Palette hinterher und springe auf. Außer mir
vor Rage und Verzweiflung trete ich gegen die Holzkiste mit den Farben, um sie ebenfalls
außer Sichtweite zu schießen und mich mit diesem Akt des sinnlosen Demolierens freizumachen
… von allem und nichts. Die Rechnung habe ich ohne die scharfen Kanten der Kiste
gemacht und hüpfe alsbald jaulend durchs Zimmer. Mein großer Zeh pulsiert. Der Schmerz
zieht sich bis ins Zahnfleisch. Natürlich wird mein Zorn dadurch nicht geschwächt,
sondern geradezu angestachelt. Das Nächstbeste greifend, reiße ich den Verschluss
vom dem Eimer Nachtblau, mit dem Lukas und ich die Decke unseres Schlafzimmers gestrichen
haben. Ohne Zögern greife ich hinein und schleudere die Farbe in Richtung Leinwand.
Mit einem Schmatzen landet der Batzen Nachtblau auf dem Weiß, das nun endlich die
Klappe hält.
    Noch immer fluchend humpele ich
näher, um die Leinwand zu packen und auf den kaputten Staubsauger zu spießen, doch
mein Unmut verfliegt so abrupt wie er kam. Ich lege den Kopf schief, um das Motiv
aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.
    Meinen Klecks.
    Meinen perfekten Klecks.
    Ohne jede Anstrengung formen meine
Gedanken ein Bild, das ein neuer Pinsel ohne Schwierigkeiten umzusetzen schafft.
In einer Ausbuchtung am unteren Rand des Kleckses setze ich an und male mit der
Deckenfarbe die dicken, runden Buchstaben. Zwei Worte, die zur Seite hin in einer
Welle ausrollen: Deep Blue.
    Als es vollbracht ist, zieht die
Dämmerung über den Himmel vor dem Fenster. Nachtblau klebt an meinen Händen und
Armen, verkrustet einzelne Haarsträhnen. Ein Ziehen auf den Wangen sagt mir, dass
ich es sogar im Gesicht habe.
    Den Pinsel noch in der Hand haltend,
hocke ich da und betrachte ›Deep Blue‹, unschlüssig über das, was ich fühle. Aus
dem Wirrwarr völlig konträrer Emotionen kristallisiert sich eine Frage heraus: Wieso
bringe ich keine so tollen Bilder zustande, wenn es mir gut geht?

Earl of Fun
     
    Ich träume von

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