Tausche Brautschuh gegen Flossen
Grundstücksmauer schmunzeln. Es zeigt sowohl den Union Jack als auch den
Namen der Finca: Casa del Gringo – Das Haus des Ausländers.
Lennys Gäste sind Engländer, Deutsche,
einige Nordeuropäer und viele Spanier. Unter letzteren sind zwei Gitarrenspieler,
die nach dem Essen ihre Instrumente holen, darauf spielen und dazu singen. Manche
Gäste beginnen zu tanzen, wo sie gerade sind, andere tingeln von Gespräch zu Gespräch.
Viele sind neugierig auf mich, und oft zeigen sie ein bisschen zu überschwängliche
Freude oder sogar Erleichterung darüber, dass Christoph mit einer Frau an seiner
Seite erschienen ist. Die meisten sind überrascht zu hören, dass ich bloß eine Urlauberin
bin, und betrübt über meinen bevorstehenden Heimflug. Zwei Däninnen entdecken den
Ehering und vermuten eine heimliche Hochzeit zwischen mir und Christoph. Als ich
sie wissen lasse, dass der Mann, der mir diesen Ring an den Finger gesteckt hat,
gerade einen Trip durch eine afrikanische Wüste macht, verstummen sie und verabschieden
sich.
Um zur Ruhe zu kommen und nichts
mehr erklären zu müssen, schlendere ich in den hinteren Teil des Gartens. Dort gibt
es eine zweite Steinmauer, hinter welcher der Boden ein paar Meter abfällt und in
einen Steinstrand ausläuft. Als es dunkel wird, sieht man in der Ferne die Lichter
von La Gomera.
Eine Frage, die mich beschäftigt,
ist, was all diese Leute dazu bewegt hat, nach Teneriffa zu ziehen. Unter welchen
Umständen und aus welchem Antrieb haben sie ihr Land verlassen? Was hat den Ausschlag
gegeben, dass sie sämtliche Zelte hinter sich abbrachen? Ist es allein der ewige
Frühling, der sie auf dieser Insel glücklich sein lässt? Sind sie hier tatsächlich
glücklicher, als sie es früher waren? Ein Teil von mir beneidet sie um das sonnige,
vielleicht ungezwungenere Leben, doch einen anderen Teil stimmt es traurig, insbesondere
wenn ich daran denke, wen oder was sie zurückgelassen haben.
Welches Chaos würde ich auslösen,
ginge ich von Deutschland fort?!
Ein riesiger Schlamassel wäre das!
Meine Eltern wären außer sich und würden sich schämen. Mein Großvater verfiele in
dumpfes Brüten und meine Großmutter einem Beruhigungsmittel. Spätestens in einer
Woche wären die Italiener hier, um mich nach Hause zu eskortieren.
Niemand von ihnen könnte mich aufhalten,
hätte ich mich entschieden, Deutschland zu verlassen – wegen eines einzigen Menschen.
Wie es ein einziger Mensch ist, für den ich nicht bleibe.
Welten liegen zwischen diesen beiden.
Welten, die sich niemals zu einer verbinden werden.
Ich spüre, dass Christoph hinter
mir steht, noch bevor er etwas sagt. Als er vorschlägt, die Party zu verlassen,
damit wir irgendwo allein sein können, bin ich einverstanden.
Wir fahren zur Tauchschule, nehmen das Boot und schippern auf den Atlantik
in die Meerenge zwischen Teneriffa und La Gomera.
Christoph holt Decken aus der Kajüte.
Wir mummeln uns hinein, lehnen uns gegen die Bootswand und schauen in den sternenklaren
Nachthimmel. Wie eine Wiege schaukelt die Schaluppe auf dem Wasser. Wellen gluckern
dagegen, der Wind pfeift leise.
Wir sagen kein Wort und hängen unseren
Gedanken nach, die ziemlich wahrscheinlich die gleichen sind und sich um dieselben
Dinge drehen. Ich denke daran, wie Christoph unterhalb des Pico del Teide auf dem
Baumstumpf gesessen hat, im Halbdunkel, nicht ahnend, wer ich bin. Und ich erinnere
mich an seine ersten Worte damals ich Chat: ›Ich bin auf Teneriffa‹ – mit denen
alles begann.
So wenig ich
zu Beginn des Urlaubs begreifen konnte, dass es geschieht, so wenig kann ich nun
glauben, dass es zu Ende ist. Konfusion übernimmt und beherrscht mein Denken. Wie
wird es weitergehen, mein Leben mit dem Gedanken an Christoph? Kann ich einfach
so umschalten auf Deutschland? Muss ich ihn einmal mehr vergessen, bis ich mir irgendwann
sage, dass alles eine verrückte, aber schöne Einbildung war? Werde ich nach der
letzen Kuppe, hinter der die Kirchtürme Mühlhausens auftauchen, seinen Namen flüstern,
mehrmals, als würde ich meditieren, wie es Nick Nolte in ›Herr der Gezeiten‹ mit
›Lowenstein‹ getan hat?
Christoph bricht das Schweigen,
indem er sagt, dass in seinem Kopf nur ein Gedanke ist, nämlich der, mich wiederzusehen,
und dass dieser Gedanke unweigerlich von der Erkenntnis beiseitegeschoben wird,
dass es dazu nicht kommen wird.
Verstohlen wische ich eine Träne
aus meinem Gesicht und blinzele in den Himmel. Zwischen den Sternen blinken
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