Tausche Brautschuh gegen Flossen
schaut mal, da oben ist eine Straße. Wäre das nicht cool, wenn wir
dort lang fahren könnten?«
»Wunsch erfüllt«, antwortet Christoph
und fährt los.
Ich schreie tatsächlich sehr viel.
Nicht, um irgendwen zu ärgern, und auch nicht durchgehend, sondern immer nur in
den Rechtskurven. Die Straße ist so schmal, das unsere Trikes sie komplett in Beschlag
nehmen. Voll Panik denke ich an den Bus und bete, dass der Spanier eine korrekte
Auskunft gegeben hat. Mein Grauen wird geschürt durch die seitliche Straßenbegrenzung,
denn sie besteht aus in regelmäßigen Abständen gesetzten Steinklötzen, die nicht
einmal 50 Zentimeter hoch sind. Dank ihnen habe ich, insbesondere in den Kurven,
eine ganz fabelhafte Aussicht – zum einen auf den noch vor uns liegenden Weg, zum
anderen auf die Schluchten.
Als uns hinter einer solchen Stelle
ein Auto entgegenkommt, schlägt mein Herz bis zum Hals. Christoph warnt mich, dass
er zurücksetzten muss, da die Kurve etwas breiter ist, und fährt dann wirklich rückwärts.
Ich halte die Luft an und kneife die Augen zu. Näher kann ich nicht an ihn heranrutschen,
und am liebsten möchte ich die Arme zweimal um ihn schlingen. Mit geschlossenen
Augen wird das Gefühl zu fallen nur extremer, also öffne ich sie wieder und schreie
abermals, denn wir parken dicht an diesen zweifelhaften Steinen namens Straßenbegrenzung.
Als das Manöver überstanden ist,
würde ich mich gern vergewissern, dass Markus und Nina die Situation gut meistern,
doch ich bin wie festgefroren, nicht fähig, mich zu bewegen, und umklammere Christoph
wie einen Rettungsboje.
Obwohl ich den Nervenkitzel kaum
aushalte, macht die Tour doch wahnsinnig viel Spaß. Sie ist zu vergleichen mit einer
Fahrt auf der Achterbahn oder einem ähnlichen Erlebnis, das Angst und Euphorie zu
einer Emotion vermischt. Nach einer Runde Achterbahn sagen die wenigsten, dass sie
nie wieder einsteigen würden, obwohl sie konstant nach ihrer Mami gebrüllt haben,
sondern möchten am liebsten im Wagen sitzen bleiben.
Was den Achterbahnen fehlt, ist
das Panorama des Tenogebirges. Von einigen Stellen aus sehe ich den Pico del Teide,
gehüllt in diesiges Sonnenlicht, und so furchterregend die Klippen und Täler auch
auf mich wirken, sie geben doch ein malerisches Bild ab. Die Gegend ist nur dünn
besiedelt, denn zwischen den Felswänden und Schluchten finden sich kaum landwirtschaftlich
nutzbare Ebenen. Die Straße, auf der wir fahren, wurde erst Anfang der 90er fertiggestellt.
Nicht eher hielt die Zivilisation zumindest teilweise Einzug. Bis dahin konnten
die Gebirgsdörfer ausschließlich über Feldwege und per Esel erreicht werden.
In einem Tal entdecke ich verstreut
liegende Bauernhöfe, von denen einige so kompliziert an den Hang gebaut wurden,
dass die Eingänge nur über Holztreppen zu erreichen sind. In ihrer Mitte befindet
sich ein von Palmen umsäumter Ortskern, das Dorf Masca, dessen Gebäude so dicht
aneinandergedrängt stehen, dass man sie für eins halten möchte.
Wir parken in Masca. Bei einem Bummel
durch die Gassen erzählt Christoph von der Comunidad de Agua, einer Art Wassergemeinschaft,
die jede Finca des Dorfes zu bestimmten Zeiten berechtigt, Wasser aus den Wasserstollen,
sogenannten Galerias, zu nutzen, um Vorräte zu schaffen oder Felder zu bewässern.
Es liegt auf der Hand, dass diese Übereinkunft der zuständigen Stadtverwaltung von
Buenavista del Norte ein Dorn im Auge ist. Seit beinahe 20 Jahren versucht sie erfolglos,
das Wasser zu enteignen und Wasseruhren in den Fincas anzubringen.
Wir kosten Ziegenkäse und Palmsaft.
Christoph unterhält sich mit einer alten Frau, die vor ihrem Haus sitzt und ein
Huhn rupft, was mich wünschen lässt, einen Volkshochschulkurs in Spanisch belegt
zu haben. Es wäre eine sinnvolle Beschäftigung für den vergangenen Herbst gewesen.
Ich wäre nie in meinen Blues verfallen und hätte diesen Mann nie kennengelernt.
Viele traurige Momente hätte es mir erspart. Doch schaue ich Christoph jetzt an
und höre ihm zu, ohne ein Wort zu verstehen, weiß ich, ich würde diesen Fehler immer
wieder machen.
Nach Masca gelangen wir nach Buenavista
del Norte. Von dort aus cruisen wir auf einer weiteren abenteuerlichen Straße durch
in Felsen gehauene Tunnel in Richtung Westen, um zu einem Aussichtspunkt zu gelangen,
an dem ein Leuchtturm steht. Oberhalb der Punta Morro del Diablo machen wir Halt
auf einer Plattform. Der Wind weht so kräftig, dass wir beinahe umgepustet werden,
als wären wir
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