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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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vom Serail entfernt liegenden Palast verbannt; der seiner Würden entsetzte Sadi wollte sich vor seinem Zöglinge zeigen, aber er empfing da nur Vorwürfe und den Befehl, sich für immer aus seinen Augen zu entfernen, da man fürchtete, er könne neue Schandtaten veranlassen.
    Der Elende zog ganz niedergeschmettert ab, und nachdem er sich des Nachts in einem dichten Walde verirrt hatte, kam seinen Füßen eine jener Gruben in die Quere, die man als Falle für wilde Tiere leicht mit Moos bedeckt. Er stürzte hinein und fand sich unter drei Tieren, die seinen Schrecken noch vermehrten: einem Löwen, einem Affen und einer Schlange; unser Mann kam mit der Angst davon, die ihm die schrecklichen Tiere verursachten. Das grausamste Tier wird sanft, wenn es sich gefangen sieht; der Tag überraschte Sadi inmitten der traurigsten Gedanken; er hatte sich schon darein gefunden, das Leben, das ihm die Tiere ließen, durch Hunger zu verlieren, als er auf dem Rande der Grube einen Menschen erblickte, der mit seinem Schicksale Mitleid zu haben schien. Dieser Anblick gab ihm wieder Hoffnung; die Zurufe des Unglücklichen bestimmten den Wanderer, ihm einen Strick zuzuwerfen, mittels dessen er aus diesem schrecklichen Aufenthaltsorte erlöst werden konnte.
    Der Affe, gewandter als der Mensch, ergriff diese günstige Gelegenheit und erschien an Stelle dessen, den der Wanderer erwartete, am Rande der Grube: ›Du wirst dich vielleicht eines Tages nicht ärgern,‹ sprach der Affe zu ihm, ›mir das Leben gerettet zu haben; Tiere wissen ihre Wohltäter wiederzuerkennen und wertzuhalten; du willst diesen Mann retten, der mein Mißgeschick teilte, gebe es der Himmel, daß dich dieser Undankbare deinen Edelmut nicht bereuen läßt! Meine Behausung ist am Fuße des Gebirges, das du von hier aus siehst; vielleicht könnte ich dich dort wiedersehen und dir nützlich sein.‹ Der Wanderer, der die Versprechungen des Affen nicht ernst nahm, legte in einer Regung von Mitleid die letzte Hand an seine Rettung und beeilte sich dann, den Strick zurückzuwerfen, in der Hoffnung, nunmehr seinesgleichen zu befreien; als er bei der zweiten Unternehmung ein beträchtlicheres Gewicht fühlte, zweifelte er keinen Augenblick, daß es der Mensch wäre, der endlich den Strick erfaßt hätte; jedoch erschreckten ihn die ungeheure Mähne, die Zähne und die Klauen des Königs der Tiere so sehr, daß er die furchtbare Last fallenlassen wollte. ›Beruhige dich,‹ sprach der Löwe zu ihm mit süßer und gewaltiger Stimme, ›auf daß dein Schreck uns nicht allen beiden schadet; du erwirbst in mir einen Beschützer, der nicht zu verachten ist; ich kann dir auch einmal das Leben bewahren, das du mir gerettet hast; dein Kamerad, der in der Grube sitzt, wird dir niemals so viel Gutes tun!‹ Der Wanderer ließ sich durch diese beredte feierliche Ansprache bewegen, verdoppelte seine Kräfte, und es gelang ihm schließlich, den Löwen aus der Grube zu ziehen. ›O Freund,‹ sprach der Löwe mit Gönnermiene zu ihm, ›meine Höhle ist in dem Walde bei der Hauptstadt; ich hoffe, wir werden uns dort eines Tages sehen!‹
    Es blieben noch zwei Gefangene zu befreien; der auf den Grund der Grube zurückgeschleuderte Strick wurde von der Schlange umwunden. ›O edler Retter,‹ sprach sie zu dem, der ihr das Leben wiedergab, ›ich will dir einen Rat geben, den du zwar nicht befolgen wirst: Schlangen haben die Klugheit von der Natur erhalten, den Menschen jedoch fehlt sie öfters: ich ließ auf dem Boden der Grube den größten aller Undankbaren zurück; denn ich weiß mit Charakteren Bescheid; dieser Unglücksmensch hat ein Verbrechen begangen, für das ihn die göttliche Vorsehung Strafen wollte. Überlaß ihn seinem Schicksale, wenn du deine Wohltaten nicht bereuen willst. Du siehst mir aus, als ob du ein harmloser Mensch wärest; ich verspreche dir, bei meinem Schlangenwort, dich aus der erstbesten Verlegenheit zu befreien, in die du ob deiner allzu großen Güte geraten wirst. Leb wohl, meine Heimat ist die lange Stadtmauer. Handle nach meinem Rat und zähle auf die Erkenntlichkeit eines Tieres, das zu aufgeklärt ist, um undankbar zu sein!‹
    Der Wanderer war zu gutmütig, um einen vielleicht nützlichen Rat zu beherzigen, und warf den Strick zum vierten Male aus; der unglückliche Sadi hatte ihn endlich erwischt und sah sich wider alle Hoffnung gerettet. Es ist nutzlos, seine Freudebezeigungen auszumalen und die Dankbarkeitsergüsse, mit denen er seinen Befreier

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