Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
überschüttete; er versprach sehr viel mehr, als es die andern, die vor ihm gerettet waren, getan hatten; indem er den Wanderer unter Tränen der Rührung umarmte, begann er – um den Preis eines so wichtigen Dienstes –mit einer Täuschung. Freilich war Sadis Geschichte zu demütigend, als daß er sie durchaus wahr hätte erzählen können; er gab sich zwar als beim Sultan in Ungnade gefallen und vom Tische des Glücks herabgestoßen aus; aber er hütete sich wohl, die Gründe dafür anzugeben: Sadi sprach nur von der Undankbarkeit der Großen, von der Ungerechtigkeit, durch die sie sich unermüdlich der Schuld hingäben, und wiederholte dem Wanderer, daß er eines der Beispiele wäre, so die Menschen lehre, daß man nicht an Fürsten hangen sollte, und flocht in diese Rede eine Fülle von Moral und Tugend ein, die bewirkte, daß der gute Wanderer einen Weisen gerettet zu haben glaubte. ›Ich wohne in der Vorstadt von Aleppo‹, sprach Sadi zu ihm, ›und biete dir ein Obdach in meinem bescheidenen Daheim an!‹
Der Wanderer hatte ein anderes Ziel vor Augen; er zog nach Indien, um dort einiges Geld zum Ankauf mehrerer Warengattungen zu verausgaben. Und er setzte seine Reise mit der inneren Genugtuung fort, daß helfen immer eine gute Tat ist. In Indien angelangt, ließ sich ihm alles aufs schönste an, sein Geld wurde gut angelegt und verdreifachte sich in kurzer Zeit; reicher geworden, als er es je gedacht hatte, brannte er darauf, sein Vaterland wiederzusehn; er nahm den gleichen Weg, und den Wald durchquerend, in dem er wenige Jahre vorher sein Rettungswerk getan und die Unglücklichen aus der Grube gezogen hatte, erinnerte er sich mit Freude der schönen Reden des erkenntlichen Sadi. Die der drei Tiere hatten nur wenig Eindruck auf ihn gemacht; er war ihnen einzig und allein wohlgesinnt, weil sie ihren Wohltäter, dem sie das Leben dankten, nicht aufgefressen hatten. Als er so voll von diesen Erinnerungen war, begegneten ihm andere, sehr viel wildere Tiere: solches waren Räuber; sie faßten den unglücklichen Händler, zwangen ihn, vom Pferde abzusitzen, plünderten ihn und bereiteten sich vor, ihm das Leben zu rauben, als einer von ihnen den andern nachwies, daß dieses Verbrechen gänzlich unnötig sei. Man band den unglücklichen Reisenden an einen Baumstamm, wo er den Unbilden der Witterung ausgesetzt war; die Räuber schlugen sich ins Dickicht und überließen ihn keiner andern Hilfe als dem Tode, den er sich nicht allzubald bevorstehen sah.
Die kläglichen Schreie, die der Schmerz ihm entlockte, drangen einem großen Affen zu Ohren, der in einiger Entfernung von diesem Orte lebte; das Tier lief herzu und sah seinen einstigen Befreier in einem ebenso traurigen Zustande als dem, aus dem er es einst erlöst hatte. Zuerst lockerte es mit seinen Pfoten und Zähnen die Stricke, die Achmed – so hieß der Handelsmann – fesselten; es erstickte ihn fast mit seinen Umarmungen, und nachdem der Affe sein Unglück erfahren hatte, führte er ihn in eine Höhle, wo einige wilde Früchte Achmeds Hunger stillten; denn er hatte schon seit langem nichts genossen. Die Erzählung seines traurigen Erlebnisses rührte das Herz des dankbaren Tieres; beim Umherstreifen in dem Walde hatte es mehrere Tage vorher das Versteck der Räuber, die seinen Freund ausgeplündert hatten, entdeckt. Und es eilte mit der Gewandtheit und Leichtigkeit, deren Affen fähig sind, zu ihnen, überraschte sie, eingeschlafen mit der Sorglosigkeit von Verbrechern, die keine Züchtigung fürchten zu müssen glaubten.
Unser Affe erblickte die Säcke, und ihr Gewicht lehrte ihn, daß sie voll Goldes seien; mit Freuden belud er sich mit einer Last, die ihm die Dankbarkeit leicht machte; er schleppte die Gewänder mit, von denen er glaubte, daß sie seinem Gaste gehörten, und gelangte zu der Höhle mit der Freude, die eine edle Handlung erweckt. Als Achmed seine Habe wiedererlangt hatte, dankte er dem Affen und schickte sich an, seinen Weg weiterzuziehen.
Er wunderte sich selbst darüber, einen so wohltätigen Affen gefunden zu haben, und machte sich aufrichtige Vorwürfe über den geringen Glauben, den er stets diesem Falle beigemessen hatte, als ein schrecklicher Löwe vor seinen Augen auftauchte; er war schon wie gelähmt vor Furcht, doch statt Gebrüll vernahm er solche Worte aus dem gewaltigen Maule des Königs der Tiere: ›Komm, o mein Freund, komm, o mein Befreier; du hast mir das Leben gerettet; dafür will ich mich dir stets dankbar
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