Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Zeilen; ich befehle ihr, Sorge um dich zu tragen, du bleibst bei ihr bis zu meiner Rückkehr, ich werde nicht zögern, dir bald zu folgen!«
Der Jüngling gehorchte Kebal und machte sich alsbald auf den Weg. In Bagdad angelangt, erkundigte er sich nach dem Hause seines Herrn und klopfte an die ihm bezeichnete Türe. Kebals Tochter öffnete und sah einen Jüngling, schöner als ein Liebesgott, der ihr ein Schreiben von Seiten ihres Vaters abgab. Voller Ungeduld öffnete sie es; aber welcher Schrecken befiel sie, als sie solche Worte las: »Der dir dieses Schreiben überbringt, ist mein größter Feind; ich sende ihn dir, auf daß du ihn töten läßt, und fordere von dir diesen Beweis deiner Liebe!«
Kebals Tochter glich durchaus nicht ihrem Vater und hatte ein einfaches Herz voller menschenfreundlicher Gefühle; sie sah sich den Überbringer des Briefes genau an und konnte sich einer Liebe zu ihm nicht erwehren. Die Liebe gab ihr ein Mittel ein, das Leben dessen zu retten, der ihr in einem Nu so teuer geworden war, und sich für immer mit ihm zu verbinden. Nachdem sie dem Jünglinge aufgetragen hatte, daß er warten solle, verfaßte sie, die Handschrift ihres Vaters nachahmend, ein anderes Schreiben folgenden Inhalts: »Der Überbringer dieses Schreibens ist mir teurer, als es mein Sohn sein könnte, sieh in ihm mein Ebenbild; und vertraue ihm die Verwaltung meiner ganzen Habe an und verheirate ihn mit meiner Tochter Melahie!«
Nachdem sie solcherart geschrieben hatte, versiegelte sie das Schreiben. Dann ging sie in das Gemach, wo sie den jungen Mann zurückgelassen hatte. »Du hast dich geirrt,« sprach sie zu ihm, »das Schreiben, das du mir gabest, ist wahrlich für meine Mutter bestimmt; ich will dich in ihr Gemach führen!« Der junge Kebal überreichte der Mutter das Schreiben, die, nachdem sie es gelesen hatte und keinen Augenblick im Zweifel war, daß es von ihrem Gatten komme, den Befehlen, die er ihr gab, nachkam und ihre Tochter alsobald mit dem jungen Manne verheiratete.
Indessen machte sich Kebal, als er alle seine Geschäfte abgewickelt hatte, auf den Weg nach Bagdad. Er war aufs höchste überrascht, als er beim Eintritt in sein Haus seinen Sohn vollen Lebens wieder vorfand. Seine Verwunderung stieg noch, als er vernahm, er sei sein Eidam geworden. Alle diese Ereignisse erschienen ihm sonderbar; doch die Furcht, seine Freveltaten laut werden zu lassen, nahm ihm vollends die Lust, sich Klarheit zu verschaffen; er heuchelte und verbarg unter dem Mantel der Freundschaft den tödlichen Haß, den er immer für seinen unschuldigen Sohn empfunden hatte. Melahie ließ sich nicht durch diese geheuchelte Ruhe täuschen; ihre um das Leben eines geliebten Gatten sich sorgende Zärtlichkeit ließ sie alle Handlungen ihres Vaters auf das genaueste überwachen.
Kebal schenkte einige Zeit nach seiner Rückkehr seinen Dienern mit mehreren Krügen Weins einen Hammel. »Macht euch eine lustige Nacht«, sagte er zu ihnen, »und feiert meine glückliche Heimkehr in die Heimat; aber ich trage euch einen großen Dienst auf: ein heimlicher Feind will mir ans Leben, ich werde ihn heute abend in mein Haus locken; um die vierte Stunde der Nacht wird er dann die Treppe von meinem Gemach herabkommen; sobald ihr ihn hört, sollt ihr ihn erdolchen!«
Die Stunde war gekommen, Kebal sagte zu seinem Sohne, er solle in den Hof gehen, wo die Diener wären, und ihm einen holen; der wollte die verhängnisvolle Treppe hinuntergehen, als ihn seine immer argwöhnische Gattin aufhielt und ihn beschwor, den Befehl nicht auszuführen, hinter dem sie ein Geheimnis vermutete; darauf führte sie ihn mit sich fort.
Indessen wurde Kebal von wechselnden Leidenschaften bewegt; als eine halbe Stunde verrann, ohne daß er etwas von dem Erfolge seines Verrats vernahm, wollte er wissen, ob seine Dienerschaft endlich seine Rache ausgeführt hätte; wie er behende die Treppe hinunterstieg, glaubten die, welche die Ausführung seines Befehls auf sich genommen und bislang niemanden die Treppe herabkommen gehört hatten, daß es ihr Opfer sei, und fielen über ihn her und stießen ihn in der Dunkelheit nieder.
Solches war das wohlverdiente Ende dieses grausamen Vaters. Der, dem er das Leben geschenkt und dem er es mehrere Male hatte rauben wollen, erbte nun all seine Habe; da ihm seine Geburt aber ein Geheimnis war, lebte er ruhig mit seiner Frau und erfuhr niemals, daß sie seine Schwester war.
Der Geschichtschreiber endigt diese Geschichte mit dem
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