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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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eine Amme und ein Eunuche, daß das Kind, das dereinst so liebenswürdig werden sollte, nicht umgebracht, sondern gerettet und sorgfältig auferzogen wurde. Nachdem man dem Sultan den sehr verstümmelten Leichnam eines kleinen Mädchens vorgezeigt hatte, wurde die wahre Hurschid – diesen Namen hatte man der jungen Prinzessin gegeben – nach einem abgelegenen, jedoch nicht weit von der Hauptstadt entfernten Palaste gebracht, wo die Sultanin sie von Zeit zu Zeit besuchte. Sie sah mit Bewunderung die aufblühende Schönheit ihrer Tochter, die noch weit mehr versprach, als die Weissagungen verkündigt hatten. So vergingen vierzehn Jahre.
    Als nun Hurschid in dem Alter war, wo der Geist sich entfaltet, zeigte sie den ganzen Umfang des ihrigen, indem sie mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit alles lernte, das man für ihre Bildung zweckmäßig fand, und selbst die Dichtkunst. Zugleich besaß sie außer einer ungemeinen Geschicklichkeit in allen Arbeiten ihres Geschlechts auch erstaunliche Anlagen für die Musik und spielte kunstreich allerlei Instrumente. Doch begnügte sie sich nicht mit diesen schwachen weiblichen Übungen; denn als sie noch nicht sechzehn Jahre alt und überdrüssig ihrer Einsperrung war, fühlte sie sich ebenso stark, als sie schön war, und bewog ihre Amme und ihren Aufseher, die sie so liebenswürdig fanden, daß sie ihr nichts abzuschlagen vermochten, ihr Rosse zu verschaffen und ihr zu erlauben, sie zu reiten, und unter dem Vorwande der Jagd und der Leibesübung in der Gegend umherzureiten. Übrigens gebrauchte sie bei dem Genusse dieses Vergnügens alle Vorsicht, daß sie von der Sultanin nicht überrascht werden konnte, und kehrte regelmäßig jeden Abend in ihren Palast zurück.
    Indessen konnte sie nicht vermeiden, daß von ihren Ausritten geredet wurde. Man wußte, daß ein junges und wohlgebildetes Mädchen zuweilen hoch zu Rosse das Gefilde durchstreifte; man erkannte ihren Begleiter, und mehr bedurfte es nicht, um das ganze Geheimnis zu enthüllen. Eifersüchtig auf die Gunst, in der Hurschids Mutter stand, verklagten sie die übrigen Frauen im Harem Siaûrs und beschuldigten sie, daß sie ihre Tochter nicht habe umbringen lassen. Der König von Persien geriet darob in heftigen Zorn, und obschon es Nacht war, begab er sich auf der Stelle mit vier der zuverlässigsten Männer seiner Leibwache nach dem Palaste, wo die junge Prinzessin verborgen war. Wütend und ingrimmig schlägt er an die Türe oder läßt sie vielmehr einstoßen. Der Eunuche und die Amme eilen ihm entgegen; er gebietet ihnen mit drohender Strenge, ihm Hurschid vorzuführen, und während man forteilt, sie herbeizuholen, befiehlt er seinen vier Gefährten, sich bereitzuhalten, seine Tochter und die hier zu ihrem Dienste bestellten Sklaven zu töten.
    Endlich erscheint sie selbst, noch ganz in der Verwirrung einer Schönheit, die man eben aus dem Schlafe aufgeschreckt hat und der man ankündigt, daß sie in der größten Gefahr schwebe; aber wie schön ist sie! Besonders ihre Augen waren so strahlend, daß niemand ihren Glanz aushalten konnte, was auf der Stelle die vier Gefährten des Königs erfuhren. Sonnenstrahlen, die durch zwei Brennspiegel scheinen, haben nimmer so furchtbare und plötzliche Wirkungen hervorgebracht, als es hier die Augen der Prinzessin auf die Männer taten: alle vier sanken ohnmächtig zu Boden. Der Sultan selbst fühlte sich nicht davor gesichert; aber sein Alter und seine Gemütsart und die königliche Würde und die Gewohnheit, schöne Augen zu sehen, vor allen die der Mutter Hurschids, die ihrer Tochter glich, wennschon sie ihrer Schönheit nicht gleichkam, endlich die väterliche Zärtlichkeit, solches alles schützte ihn vor stärkeren Zufällen. Er begnügte sich damit, jeden grausamen Vorsatz gegen seine Tochter aufzugeben, hob sie auf und umarmte sie zärtlich, verzieh der Amme und dem Eunuchen und dankte ihnen sogar, daß sie ihm ein so holdseliges Kind erhalten hatten, und versprach, sie oft zu besuchen, manchmal auch mit ihrer Mutter. Er gab noch Auftrag, den Palast zu vergrößern und zu verschönern und mit allem zu schmücken, was dazu dienen könnte, den Aufenthalt darin angenehm zu machen. Aus Furcht indessen vor der Weissagung, dieer schon durch das bewährt sah, was seinen Begleitern hier begegnet war, gebot er, auch fernerhin niemanden in den Palast einzulassen.
    Sklaven trugen die vier ohnmächtigen Männer hinaus und legten sie auf den Rasen am Ufer eines Baches, dessen

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