Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Rücksicht mehr nehmen zu dürfen, stürzte sich auf ihren Geliebten und bedeckte ihn mit Küssen.
Glücklicherweise hatte derselbe Zauber, der den Augen Hurschids die Macht zuerteilte, die zu töten oder tödlich zu verwunden, die sie zum ersten Male sahen, auch ihren Küssen die Kraft gegeben, die wieder ins Leben zu rufen. Solches bewährte sich an Ferahschad; bald kam er wieder zu sich und gab ihr durch das innigste Entzücken seine Dankbarkeit und seine Liebe zu erkennen.
Man kann sich leicht vorstellen, wie hinreißend diese erste herzliche Unterhaltung zwischen zwei so füreinander geschaffenen Liebenden sein mußte. In einigen ruhigeren Augenblicken entdeckte Ferahschad der Prinzessin seinen Stand und seine Geburt. Hurschids Liebe zu ihm wäre jetzt noch größer geworden, wenn es möglich gewesen wäre; aber sie war schon so überschwenglich, daß beide die größte Mühe von der Welt hatten, sich zu trennen, als die gute Amme hereinkam, um sie zu erinnern, es wäre an der Zeit, daß der Prinz sich entfernte und durch den unterirdischen Gang wieder nach seiner Hütte ginge. Dazu mußten sie sich entschließen und machten untereinander aus, daß sie sich nur von Zeit zu Zeit sehen wollten, weil sie nicht ohne Gefahr täglich zusammenkommen konnten.
Aber schon am nächsten Morgen waren beide ungeduldig, wieder beieinander zu sein, und Hurschid konnte sich nicht enthalten, an ihren Liebsten zu schreiben und ihn aufzufordern, bald wieder zu ihr zu kommen. Sie gab dem Eunuchen das Schreiben zu bestellen, dessen Inhalt folgender war:
Die Rebe spricht zur Ulme: Komm, und umschlinge mich mit deinen Ästen; welch köstliche Früchte werden aus unserer Umarmung hervorgehen!
Der Amber spricht zu dem goldigen Strohhalm: Ich ziehe dich an, ich rufe dich, du hast dich mir genähert: verwünscht sei der Augenblick, der uns wieder getrennt!
Der Stahl spricht zum Magnet: Wie hart ich bin, hab ich mich doch nicht erwehren können, mich mit dir zu vereinigen; eine süße Anziehung treibt uns zueinander: ach, nie mehr, wenns möglich, wollen wir uns trennen!
Die Antwort, die Hurschid erhielt, war nicht minder zärtlich als ihr Brief und sagte:
Du bist meine Sonne, und ich will dein Schatten sein. Schönes Gestirn, Stern der Liebesgöttin! ich will dein treuer Mond sein.
Vollstrahlender Mond! ich will nur unter deinen segensreichen Einflüssen leben.
Am nächsten Tage schon kam Ferahschad durch den geheimen Gang wieder zu der Prinzessin, und beide richteten es nun so ein, daß sie sich fortan nicht wieder zu trennen brauchten. Ferahschad blieb mit großer Vorsicht in dem Nebenzimmer der Prinzessin verborgen, wurde hier mit den köstlichsten Gerichten versorgt und konnte nun den größten Teil des Tages um seine Geliebte sein.
Asad bestimmte man, allein in der Einsiedelei zu bleiben und dort ruhig weitere Kunde von seinem Herrn abzuwarten. Er begab sich von Zeit zu Zeit in das Bethaus, um ihn dem Schutze des Propheten Elias zu empfehlen; und obwohl er sich noch manchmal mit Vergnügen Hurschids schöner Augen erinnerte, so tröstete er sich jedoch, daß er sie nicht wiedersah, weil er wohl fürchtete, diese Augen könnten ihm vollends das Leben rauben, ohne auf eine Wiedererweckung hoffen zu dürfen.
So verlebten die beiden Liebenden mehrere selige Monate, einzig miteinander beschäftigt; endlich aber wurde das Schicksal eifersüchtig auf ihr Glück, und es wurde gestört.
Man wird sich erinnern, daß die drei wieder ins Leben gekommenen Hauptleute von der Leibwache des Königs Siaûr nach verschiedenen Weltgegenden voneinander schieden, und während nun Asad auf seinem Zuge gen Westen nach Mauretanien gekommen war, kam der, der gen Osten zog, nach Karakatai oder dem Lande der Tataren, über dem ein grausamer und wilder und gottloser König herrschte, namens Bogakan, der einen ebenso boshaften Wesir hatte, mit Namen Toromtai. Die Hauptstadt dieses Reichs aber war groß und volkreich. Als der Perser hier bis auf einen weiten Platz gelangt war, sah er eine große Volksmenge um einen berühmten Sänger versammelt, der alle Hilfsmittel seiner Kunst aufbot und verschiedene Lieder auf mannigfaltige Weisen sang. Der Künstler begann endlich aus dem Stegreife die Beschreibung einer vollkommenen Schönheit und schilderte dann so herrlich die Liebe, die er bei ihrem ersten Anblicke empfunden zu haben vorgab, daß der persische Hauptmann in der ausdrucksvollen Schilderung des tatarischen Sängers plötzlich seine eigene
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