Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
Hühnern, und ich redete abermals meinen Gast um die Austeilung an. Er fragte mich, ob er dieselbe in gleichen oder ungleichen Zahlen machen sollte. »In gleichen«, sprach ich. »Nun, da kommt auf dich und dein Weib ein Huhn, eines auf deine zwei Söhne, eines auf deine zwei Töchter, und zwei auf mich.« »Nein,« sprach ich, »diese Austeilung gefällt mir nicht, mach dieselbe lieber in ungleichen Zahlen.« »Nun also, da kommt auf dich und deine zwei Söhne ein Huhn, eines auf deine zwei Töchter und ihre Mutter und drei auf mich. Weißt du eine bessere Austeilung, so mach sie.« Ich aber wars zufrieden, ließ ihm die drei Hühner und schämte mich, von einem Beduinen zu Mittag in der Dichtkunst und beim Nachtmahl in der Arithmetik übertroffen worden zu sein.
Ein ehrwürdiger Greis mit langem Silberbarte, in ein weißes Tuch gewickelt, kam im Galopp auf einem schön aufgezäumten Rappen angeritten. An der Brücke hielt er stille und fing an, Trauer und Lobgedichte zu Ehren der Barmekiden aufzusagen, deren Freigebigkeit und andere Tugenden er bis in den Himmel erhob. Die Wache bemächtigte sich seiner sogleich und führte ihn dem Kalifen vor, dem er sich mit heiterem und unbefangenem Gemüte darstellte. Der Kalif fuhr ihn mit zorniger Stimme an: »Hast du nicht den öffentlichen Ausruf vernommen, der alles Lob der Barmekiden verbietet, und weißt du nicht, daß es sich um dein Leben handelt?« »Ich weiß es, o Kalif, deswegen habe ich mir auch dies Lobgedicht zum Schwanengesang gewählt. Ich bin gekommen, um zu sterben; sieh hier meine Reisegeräte!« Er schlug das weiße Tuch auseinander, das er um den Leib gewickelt hatte; es war ein Leichentuch, mit dem er sich zu seinem Begräbnisse im voraus versehen hatte.
Harun al-Raschid verwunderte sich ob des so festen und entschiedenen Entschlusses, dem Tode entgegenzugehen, und war neugierig, die Ursache einer so treuen Anhänglichkeit an das Haus der Barmekiden kennenzulernen, und verlangte, der Greis solle ihm seine Geschichte erzählen; und dieser erzählte sie also:
»Ich bin, o Fürst der Rechtgläubigen, in Bassorah gebürtig, wo ich meinen Vater früh verlor. Er hatte mir eine sehr ansehnliche Erbschaft hinterlassen, von der ich den möglichst besten Gebrauch machte, zu meinem und meiner Freunde Vergnügen. Als ich mich eines Tages mit zehn derselben in einem Garten belustigte, fing einer an, der Stadt Kairo und dem Nile und der Insel Rausah eine Lobrede zu halten. Ein anderer machte eine Beschreibung von Damaskus und seinen herrlichen Umgebungen; ein dritter besang Schiras und die persischen Täler; ein vierter endlich erwähnte Bagdads und seiner Herrlichkeiten. Sogleich vereinigten sich alle zehn im Lobe seiner Paläste und Gärten; sie priesen die Gastfreiheit seiner Bewohner und die Freigebigkeit der Barmekiden. Wir beschlossen einstimmig, nach Bagdad zu reisen, und setzten unseren Beschluß ins Werk. Dort stiegen wir im Safranviertel ab und brachten beiläufig zwei Monate in Ergötzungen aller Art zu, ohne den Khan zu verlassen, wo wir abgestiegen waren. Da sprach ich nun zu meinen Gefährten: ›Aber warum sind wir denn nach Bagdad gekommen, wenn wir immer im Hause sitzen wollen? Ebensogut hätten wir in Bassorah bleiben können; ich dächte, es wäre Zeit, uns ein wenig unter die Leute zu mischen und Bekanntschaften zu machen.‹ Am folgenden Tage ging ich auch wirklich aus, von meinen Sklaven begleitet.
Kaum war ich durch ein paar Straßen gekommen, als ich einem Menschen begegnete, der in ein antiochisches Hemd gekleidet war und einen Stock mit einem großen silbernen Knopf in der Hand trug. Er grüßte mich, und ich erkannte in ihm einen Sklavenhändler, der alle Jahre seiner Geschäfte wegen nach Bassorah kam. Er führte mich in sein Haus, ließ mich auf einen Stuhl, der aus Stahl bestand, niedersitzen und hieß eine Sklavin herauskommen, die an Schönheit alles, was ich je gesehen habe, übertraf. ›Bring ihr das Wiegenkind!‹ sagte der Kaufmann zu einem Sklaven. Dieser ging und brachte einen Sack von Goldstoff, aus dem die schöne Sklavin ihre Laute zog, die sie drückte und herzte und dann auf den Schoß nahm, als ob es ihr Kind wäre. Sie spielte und begleitete sich selbst mit einer Zauberstimme, welche die Toten zum Leben erwecken konnte. Ich kaufte das Mädchen um zehntausend Dinare. Als ich mit ihr in mein Haus gekommen war, sprach sie: ›Ich bin deine Sklavin, o mein Herr und Gebieter, aber habe nur ein wenig Geduld. Ich gehörte
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