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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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die Seite, wo der Vorhang des Harems war, und rief: »Kleidet euch an und kommt heraus!« Alsbald erschienen vierzig Schöne in dem reichsten Schmucke. Eine nach der andern ließ ein Paar Hände sehen, eines schöner als das ändere, und deren natürliche Schönheit durch den Glanz der Diamanten und Smaragden und Rubinen, mit denen sie beringt waren, ungemein erhöht wurde. Aber die kleine, weiße und runde, allerliebste Hand, die das Herz Ibrahims erobert hatte, war nicht darunter. Er teilte diese für ihn so traurige Entdeckung dem Herrn des Hauses mit. »Meinen ganzen Harem«, sprach er, »haben wir gemustert, nur meine Schwester ist zurückgeblieben; sie soll aber gleich kommen!« Sie kam und war die Schönheit mit der kleinen, weißen und runden, allerliebsten Hand, in die Ibrahim sich so sterblich verliebt hatte. Sogleich wurden zehn Zeugen gerufen, in deren Gegenwart der Hausherr seine Schwester als Frau verschrieb an Ibrahim, den Sohn Al-Mahdis, mit einem Heiratsgut von zwanzigtausend Dirhems.
    Diese von Ibrahim dem Kalifen Maamun zu rechter Zeit erzählte Geschichte rettete einem jungen Menschen das Leben, der ein mit zehn Männern besetztes Schiff in der Meinung bestiegen hatte, daß sie zu irgendeinem Feste führen, an dem er ungeladen teilnehmen könnte. Diese Leute aber waren Räuber, welche gefangen vor den Kalifen gebracht und zum Tode verurteilt wurden. Der junge Mensch, der angab, als Schmarotzer mitgefahren zu sein, hätte keinen Glauben gefunden, wenn nicht Ibrahim dem Kalifen aus eigener Erfahrung erzählt hätte, daß solche Stückchen nichts Ungewöhnliches seien. Der Kalif verzieh dem jungen Menschen, und es fand sich, daß es der Sohn Ibrahims und der Dame mit der kleinen, weißen und runden, allerliebsten Hand war.
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    Einen Menschen, der, ohne geladen zu sein, sich in eine Gesellschaft einzuschleichen und durch seine Gaben gesellschaftliche Unterhaltungen zu verschönen weiß und deshalb die Ehre, daran teilzunehmen, verdient, einen solchen geistreichen, liebenswürdigen Tischfreund, den mancher mit dem unedlen Namen eines Schmarotzers oder Tellerleckers betiteln würde, nennen die Araber Tofail; und da besonders unter der Herrschaft Haruns und Maamuns die Kunst gesellschaftlicher Unterhaltung in höchster Blüte stand, so sind auch aus dieser Zeit verschiedene Anekdoten von solchen ungebetenen Gästen auf uns gekommen.
    So lebte in damaliger Zeit zu Kufah ein junger Mensch von äußerst glücklichen Anlagen und sehr feiner Bildung, die ihn zum geistreichsten und liebenswürdigsten Gesellschafter machten. Er besaß ein außerordentliches Gedächtnis und hohe natürliche Beredsamkeit. Die schönsten Stellen arabischer Dichter waren ihm geläufig, und in der Geschichte war er vollkommen bewandert. Es entging ihm keine Gelegenheit, den Reichtum seiner Belesenheit und seines Witzes geltend zu machen, überall fand er die glücklichsten Beziehungen und Anspielungen auf, und über sein ganzes Wesen war eine sich immer gleiche heitere Laune ausgebreitet.
    Er hatte seine schönsten Jahre und sein ganzes Erbe in der besten Gesellschaft von Kufah verlebt, und da ihm von seinem Genuß und Reichtum nichts als das immer rege Spiel seiner Geisteskräfte und eine heitere Gemütsstimmung übriggeblieben waren, so beschloß er, nach Bagdad zu reisen, um dort sein Glück zu versuchen. Er stieg in einem der größten Khane ab und mischte sich sogleich in den Kreis von Fremden und Einheimischen, die sich über die Neuigkeiten des Tages unterhielten. Für heute gab es nichts Wichtigeres, als daß der Kalif Maamun beschlossen hatte, diesen Tag mit seinem Bruder Al-Mutasim ganz allein, das heißt: bloß im vertrautesten Kreise des Harems, zuzubringen. Der junge Mann nun faßte schnell den kühnen Entschluß, sich als dritter in die Gesellschaft des Kalifen und seines Bruders zu stehlen und auf diese Art entweder sein Glück zu machen oder den Kopf zu verlieren. Sogleich suchte er von seinen Bekannten, deren er eine Menge in Bagdad antraf, die nötigsten Kleidungsstücke zu einem glänzenden Hofanzug zu entlehnen. Von diesem Unter- und Überkleid, von jenem Schal und Turban, vom dritten Gürtel und Säbel.
    Als er sich ausstaffiert hatte, ging er ins Bad, ließ sich scheren und kneten und salben. Von da ab begab er sich, ein wenig vor Sonnenuntergang, gerade nach dem Palaste Mutasims, wo er sich durch den Torhüter als einen Abgesandten des Kalifen ansagen ließ. Er wurde vorgelassen und sprach:
    »O Herr, der

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