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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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Herkunft entsprossen seid, kann ich nicht umhin, zu glauben, daß ihr zugleich auch höfisch gesittet seid, und will euch um einen weitern Beweis eurer hohen Klugheit bitten, der eurer Gelehrsamkeit wert ist; aber ehe ich euch sage, worum es sich handelt, verlange ich, daß ihr ihn mir nicht zu verweigern versprecht.« Nachdem die Jünglinge zur Antwort gegeben hatten, daß sie bereitwilligst allen ihren Aufträgen nachkommen wollten, erwiderte sie: »Ich war noch ein Kind; und bevor der König, mein Vater, gepriesenen Angedenkens, aus dem Leben ging, hörte ich ihn oft mit seinen Ratgebern reden, es sei freilich möglich, daß ein Mensch in einem Tage ein ganzes Salzlager essen könne, aber er habe gleichwohl niemals jemanden finden können, der dies zu tun imstande gewesen sei. Da ich euch nun als so klug und weise kenne, meine ich, ihr könntet mir dieses Rätsel wohl lösen, und bitte euch herzlich darum!« Auf diese Worte erwidernd, sagte der zweite Bruder: »O Königin, da ich dein heißes Verlangen sehe, dies lösen zu können, sage ich dir, es ist ein leichtes, ein ganzes Salzlager an einem Tage aufzuessen, und biete mich an, das zu deinem Gefallen zu tun!«
    Darüber geriet die Königin in große Verwunderung; weil sie aber des Jünglings hohen Verstand kannte, gab sie ihren Großen Befehl, daß er folgenden Tages die Probe machen sollte. Die führten nun den Auftrag aus, standen am Morgen zeitig auf und gingen nach dem Palaste der Jünglinge und führten sie nach dem Lager, wo das Salz war. Hier befahlensie den Dienern, es zu öffnen, was unverzüglich ausgeführt wurde. Der Jüngling trat aber ein, und eine Fingerspitze seiner Hand mit Speichel anfeuchtend, legte er sie auf das Salz und hob einige Körnchen auf, verzehrte sie und sagte, sich gegen die Großen wendend, sie möchten das Lager schließen, er habe sein Versprechen der Königin gegenüber völlig eingelöst. Hierüber erstaunten alle im höchsten Staunen und sagten, sie könnten nicht glauben, daß der Jüngling auf diese Weise dem gegebenen Versprechen nachgekommen wäre; er aber fügte noch hinzu, sie sollten die Königin nur von dem, was er getan habe, unterrichten, da er sich seines Auftrags auf das beste entledigt hätte.
    Als die Königin dies von ihren Vornehmsten hörte, hieß sie den Jüngling vor ihr Antlitz treten; und als er vor sie hingetreten war und sie ihn gefragt hatte, wie das zu verstehen sei, daß er mit vier einzelnen Salzkörnchen, die er gegessen habe, seinem Versprechen genuggetan zu haben vermeine, sagte er, daß jeder, der mit seinem Freunde so viel Salz äße, wie er auf dem Lager in den Mund genommen hätte, und doch noch nicht der Freundschaft Aufgaben und Pflichten erkennen könnte, es auch nicht erfahren würde, wenn er zehn Lager, geschweige denn eines aufgegessen hätte; solches aber hätte er vermocht, und deshalb glaube er, seinem Versprechen völlig nachgekommen zu sein.
    Diese Antwort befriedigte die Königin über die Maßen, da es ihr vorkam, als habe ihr Vater das unter der Lösung des Rätsels gemeint; sie lobte den Jüngling seines scharfen Verstandes wegen sehr und sprach: »Etwas andres bleibt mir noch; wenn ihr mir das zu deuten vermögt, will ich euch eher für Götter als für Menschen halten!« Und hierauf antwortete denn der jüngste Bruder: »Gebe mirdas Herz der Königin auf, soviel ihm immer gefällt, ich will es zufriedenstellen!« Nachdem sie befohlen hatte, daß er sich folgenden Tages wieder im Palaste einfinden sollte, und er zur bestimmten Stunde gekommen war, ließ sie alle aus ihrem Gemache hinausgehen und behielt nur ihren ersten Wesir und den Jüngling bei sich zurück. Sie öffnete ein Kästchen, nahm fünf Eier heraus und sagte, sich gegen den Jüngling wendend: »Das hier sind, wie du siehst, fünf Eier; und in diesem Gemache befinden wir drei uns allein. Da nun deine beiden Brüder so große Prüfungen in meinem Reiche bestanden haben, so wage ich zu glauben, wenn auch noch du diese fünf Eier, ohne eines zu zerbrechen, zwischen uns in drei gleiche Teile zu teilen vermagst, daß man auf der ganzen Welt nicht drei Menschen finden kann, die euch an Verstand gleichkommen!« Der Jüngling sagte darauf: »Etwas Leichtes hast du, o Königin, mir da aufgetragen!« Und er nahm die Eier sogleich der Königin aus der Hand, legte drei vor ihr nieder, gab eines dem Wesir und behielt eines für sich. »Da sind, o Königin,« sprach er, »drei gleiche Teile, ohne eines zu zerbrechen!« Als sie

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