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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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diesem Lande viele mit hohem und edlem Verstande begabte Menschen finden. Es begleitete mich aber ein weiser und erfahrener Jüngling, mit dem ich eines Tages in eine Stadt ging; und bei den verschiedenen Gesprächen, die wir auf dem Wege über die bemerkenswerten Dinge in der Natur zu führen pflegten, ereignete es sich nun, daß er zu mir sagte, er kenne ein Wunder, das alle andern überträfe. Er könne jedesmal nach seinem Gefallen, wenn er ein Tier irgendwelcher Art getötet hätte, nach einigen Worten, die er über dem Körper des toten Tieres gesprochen hätte, mit seinem lebendigen Geiste in dieses hineinschlüpfen; den eigenen Leib aber lasse er totliegen, und das getötete Tier würde mit seinem Geiste wieder lebendig; und wenn er in ihm, solange es ihm gefiele, verweilt hätte, stelle er sich wieder mit dem Tierkörper über seinen eignen, und dieselben Worte sprechend, kehre er mit seinem lebendigen Geiste wieder in diesen zurück, das vernunftlose Tier aber falle tot nieder, wie es zuerst gewesen wäre, er jedoch befände sich wieder in seinem früheren Zustande. Dies schien mir nun unmöglich zu sein; und als er sah, daß er mich schwer davon überzeugen konnte, machte er in meiner Gegenwart die Probe. Und ich, der ich niemals ein größeres Wunder gesehen hatte, bekam den sehnlichsten Wunsch, es zu erlernen; und da ich dem Jüngling viele Dienste geleistet hatte, so erreichte ich durch meine inständigen Bitten, daß er es mich nach einer langen Frist lehrte und mir meinen Wunsch erfüllte.‹ Als der Philosoph dies dem Kaiser erzählt hatte, sprach der zu ihm: ›Wie könnte ich über solch eine unmögliche Sache urteilen, ohne eine Probe, die mich überzeugte, zu sehen?‹ Da antwortete der Philosoph: ›Machen wir doch den Versuch, daß du siehst, daß solches wohl möglich ist; lasse mir zur Stunde ein vernunftloses Tier hierherbringen, und du sollst alles sehen!‹ Nachdem der Kaiser sogleich einen Sperling hatte holen lassen, wie es der Philosoph angegeben hatte, erstickte der ihn und warf ihn zu Boden, sprach mit leiser Stimme einige Worte über ihm und fiel plötzlich tot zur Erde, und der wieder lebendig gewordene Sperling begann durch das Gemach, in dem sie sich befanden, zu fliegen; und nach einer guten Frist kehrte er auf den Körper des toten Philosophen zurück, sang etwas über ihm, und indem er den Philosoph auferweckte, blieb er tot, wie er es vorher gewesen war. Als der Kaiser, sobald der Philosoph wieder vor ihm stand, seinelebbafte Verwunderung hierüber geäußert hatte, entbrannte er im heißesten Verlangen, ein solch großes Geheimnis zu erlernen; und da er den Philosophen gar sehr bat, wagte der es nicht, einem so großen Fürsten etwas abzuschlagen, und eröffnete ihm alles auf das genaueste. So wurde der nun Meister eines wunderbaren Geheimnisses und ließ sich fast jeden Tag einen Vogel holen; und wenn er ihn getötet und mit seinem Geiste in ihn geschlüpft war, ließ er seinen eignen Körper tot liegen, und nachdem er sich, solange es ihm gefiel, ergötzt hatte, kehrte er von neuem mit seinem Geiste in seinen Körper zurück, und den Vogel tot lassend, ging er aus ihm heraus. Und da er mit dieser Kunst die Gemüter vieler seiner Untertanen prüfen konnte, strafte er die Bösen und belohnte die Guten mit vielen Geschenken und erhielt sein Reich in Ruhe und Frieden. Als sein Wesir, der wußte, wie teuer er seinem Herrn war, dies gemerkt hatte, unterhielt er sich eines Tages mit ihm, wie er dieser Kunst teilhaftig geworden wäre, und fing an zu erzählen und bewies ihm, daß er über einige seiner Geheimnisse (mit seiner Hilfe) unterrichtet wäre, und bat ihn recht inständigst, er möchte ihm auch das offenbaren. Da ihn nun der Kaiser sehr liebte und darum bereit war, ihm auf jede Weise gefällig zu sein, zeigte er es ihm und machte dem Wesir sogleich einen Versuch vor und war begierig, ihn darin auf das beste zu unterweisen. Es ereignete sich nun eines Tages, daß der Wesir zusammen mit seinem Gebieter auf die Jagd gegangen war, und sie sich ein gut Stück von den andern, die in ihrem Gefolge waren, entfernten und auf zwei Hirschkühe stießen, die sie töteten; und es schien dem Wesir die beste Gelegenheit zu sein, einen bösen Vorsatz, den er seit langem in seinem Herzen verborgen trug, ins Werk zu setzen. Und er sprach zumKaiser: ›Ach, o mein Gebieter, wollen wir nicht mit unserem Geiste in diese beiden Hirschkühe schlüpfen, da wir so fern von der Begleitung sind, und

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