Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
liefern, ob du bessere Schüsse als ich abgeben kannst!‹ Als er dies gesagt hatte, nahm sie den Bogen zur Hand und schoß mit dem ersten Pfeil dem Männchen das Horn hinweg, daß es zur Erde fiel, den zweiten Pfeil aber schoß sie in die Stirne des Weibchens, also daß aus dem Männchen ein Weibchen (welche von Natur des Hornes beraubt sind) und aus dem Weibchen ein Männchen wurde. Als nun der König solche Schüsse sah, merkte er, daß er seinem Weibe den Wunsch, ihren Namen mit auf die Münzen prägen zu lassen, nicht abschlagen konnte, was er aber aus Achtung vor seiner Ehre keineswegs tun wollte; und er geriet in grimmen Zorn, weil er sich durch ihre Gewandtheit und Klugheit überwunden sah, und beschloß, sie auf irgendeine Weise des Todes sterben zu lassen. Doch um sich zur Stunde nichts merken zu lassen, kehrte er in das Zelt zurück und befahl heimlich einem seiner Wesire, er solle in künftiger Nacht in das Zelt der Königin eindringen, sie in aller Stille fesseln, nach der Königsstadt bringen und ohne einen Verzug den hundert wilden und wütigen Hunden, die nachts in den Gräben seinen Harem zu bewachen pflegten, vorwerfen, auf daß die siezerrissen. Sogleich wurde dies von dem Wesire ausgeführt; die arme Jungfrau wurde in aller Stille nach der Königsstadt gebracht und dem grausamen Befehle des Königs gemäß den Hunden zum Fraße vorgeworfen. Indessen, sein unmenschlicher Plan ging nicht in Erfüllung; da sie mit den Hunden vertraut war und ihnen, als sie seine Gattin geworden war, Fressen vorgesetzt und sich mit ihnen angefreundet hatte, wurde ihr von ihnen liebreich begegnet, und nachdem sie einen Stein gelockert hatte, der vor einer Öffnung des Grabens lag, floh sie durch diese heil und gesund aus der Stadt. Als sie bis zum Sonnenaufgang wanderte, kam sie in einem Dorfe, nicht gar weit von der Stadt, in das Haus eines armen Landmanns, der mit einem Affen Brot für seine Familie gewann; der fragte sie nach ihrer Herkunft, sie antwortete ihm, daß sie eine arme Fremde sei, die einen Herrn in dieser Gegend suche. Da hatte der Landmann großes Mitleid mit dem Mädchen, und als er sah, daß sie sehr schön von Angesicht war, nahm er sie gerne auf, und jeden Tag liebte er sie mehr der vielen Tugenden halber, die er an ihr sah, und nahm sie an Tochter Statt an; er ging aber mit seinem Affen in die Orte, um den Lebensunterhalt zu gewinnen, und mit den Seinen zusammen ernährte er sie gar liebreich. Nicht lange Zeit danach kam der König in seine Hauptstadt zurück und hörte von dem Wesir, daß er seinen Auftrag ausgeführt hatte; er fing an, seine grausame Tat tief zu bereuen, und führte ein trauriges und schmerzvolles Leben. Und nicht lange hernach überkam ihn deswegen eine schwere Krankheit, für die man kein Heilmittel zu finden vermochte, und es zeigten sich an ihm offenbare Zeichen des unvermeidlichen Todes. Dies vernahm man in den der Stadt benachbarten Orten; und es gelangte auch der Königin zu Ohren,die sich in des Landmanns Hause befand. Sie wußte, daß dem König, ihrem Gatten, den sie herzlich liebhatte, das alles um ihretwillen zustieß, und beschloß, irgendein Heilmittel für ihn zu ersinnen. Nachdem sie den Landmann in Kenntnis gesetzt hatte, daß sie den König heilen und ihm damit eine große Summe Geldes gewinnen lassen wollte, sagte sie zu ihm: »Geh in den Serail und lasse seine Vornehmsten hören, wenn man auch bis zu dieser Stunde kein Heilmittel für des Königs Leiden hätte finden können, so wolltest du ihm doch wahrlich seine frühere Gesundheit wieder verschaffen!« Und der Landmann fragte sie, welche Art Heilmittel er ihm reichen sollte. Sie aber sagte: »Ich glaube unzweifelhaft, wie man ja auch öffentlich redet, sein Übel rührt von nichts anderem her, als von tiefer Schwermut und traurigen Gedanken; deshalb hat er nichts weiter nötig, als sich zu zerstreuen. Wenn du nun vor seinem Antlitze stehst, sprich zu ihm: »O Gebieter, ich kenne die Art deiner Krankheit sehr gut und hoffe, daß ich dich baldigst mit Gottes Hilfe von ihr befreien kann. Du findest innerhalb der Vorstädte deiner Residenz eine große Zahl schöner und lustiger Gärten, wähle den geräumigsten davon aus und lasse dir hier ein Zimmer zu ebener Erde erbauen; in das soll man dich sogleich bringen, wenn du es mit allen für deine königliche Person notwendigen Sachen hast versorgen lassen; dahin will ich dir folgen und deinem Leiden ein schnelles Ziel setzen!« Die Königin fuhr dann in der Rede
Weitere Kostenlose Bücher