Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
herrschte bald in ihrer bescheidenen Häuslichkeit; endlich erfaßte sie jedoch eine so starke Neugierde, daß sie ihr unterlag. Sie entfernte den Stein und fand dahinter nur eine Weinbeere. Sie brachte alles wieder an seinen Platz wie vorher, doch der Permetz rann nicht mehr und blieb für immer aus.
Sei überzeugt, o lieber Vater,« fuhr Moradbak fort, »daß ich den Stein in dem allzu heißen Wunsche, Gutes zu tun, keineswegs von seiner Stelle nehmen werde, sondern die Unterhaltungen, die ich mit dem Könige pflegen werde, benutzen will; und du sollst nicht bereuen, mich vor ihn geführt zu haben, um ihm zu erzählen!«
Fitead war entzückt über Moradbaks großen Geist, umarmte sie mehrere Male und begab sich mit der festen Zuversicht, daß ihn keine Vorwürfe treffen würden, an sein Geschäft; und er ging dann zum Morgenempfang des Königs – oder besser gesagt zu seiner ersten Audienz, die sehr früh am Morgen stattfand, denn er schlief ja nicht – und sprach zu ihm, sich vor ihm niederwerfend: »Deine Erhabenheit gab mir gestern drei Tage Frist, um einen Menschen zu finden der dir Geschichten erzählt; indessen bin ich in der Lage, dir schon heute einen zuführen zu können, mit dem du, wie ich hoffe, zufrieden sein wirst!« »Du tatest wohl daran, jemand zu finden,« nahm Hudschadsch das Wort, »dein Kopf haftete mir dafür. Aber wen willst du mir zuführen?« »O Gebieter,« entgegnete ihm Fitead, »meine Tochter!« »Deine Tochter?« fragte der König; »wie alt ist sie?« »Zwölf Jahre«, versetzte Fitead. »Du machst dich über mich lustig,« unterbrach ihn Hudschadsch voller Zorn; »was mag man in dem Alter erzählen können! O Wesir,« fuhr er fort, »laß diesen Unverschämten zur Stunde bestrafen.« Der Wesir machte ihn mit sehr viel Schonung darauf aufmerksam, daß man ihn ja immer bei der Hand habe, um ihn zu strafen, wenn er das Vertrauen seines Gebieters mißbrauche; zu Fiteads Glück sah Hudschadsch solches ein und sprach zu seinem Türhüter: »Komme also heute abend, bringe deine Tochter mit, wir, der Wesir und ich, wollen die schönen Geschichten eines Kindes anhören; und ich wünsche,« sagte er, sich nach Fiteads Seite wendend, »daß du selbst sein Verdienst beurteilst; und je nachdem solches ausfällt – ich schwöre es bei meinem Barte –, sollst du bestraft oder belohnt werden!«
Fitead zog sich zurück und ließ Moradbak um das Vorgefallene wissen, indem er sagte, daß sein Leben in ihrer Hand sei; doch hatte sie so viel Vertrauen auf die Worte des weisen Abumelek, daß sie alles tat, um ihren Vater zu beruhigen. Als der Abend hereingebrochen war, führte sie Fitead in die Gemächer des Königs, der sie mit Erstaunen kommen sah, die Größe ihrer Gestalt und ihre Schönheit dämpften Hudschadschs Grimm ein wenig; indessen sprach er zu ihr: »Erzähle mir etwas, so mich einschläfert oder unterhält; wir wollen sehn, ob du deinem Vater das Leben retten kannst.« Moradbak war nicht erstaunt über einen so wenig zuvorkommenden Anfang, Abumelek hatte sie über Hudschadschs Charakter aufgeklärt; mit Festigkeit nahm sie das Wort, nachdem sie vom Könige Befehl erhalten hatte, ebenso wie der Wesir und gar Fitead, Platz zu nehmen, und begann mit folgenden Worten:
Die Geschichte Naurs, des Königs von Kaschmir
Naur, König von Kaschmir, beherrschte seit seinem fünfzehnten Lebensjahre sein glückliches Land mit Gerechtigkeit, aber auch mit Strenge, und wollte, daß seine Untertanen glücklich würden und das Leben verdienten. Leichtfertigkeit fand niemals Gnade vor ihm; er ließ sich die Verminderung der Abgaben durch eine fleißige Arbeit erkaufen, welche dadurch für seine Untertanen ein doppelter Quell des Reichtums wurde. Er forderte die pünktlichste Gehorsamkeit und verlangte nichts ohne Grund; und notwendigerweise unterwarf er die, denen er Proben seines Edelmutes gab, der strengsten Prüfung ihres Verdienstes. Seine siegreichen Heere hatten ihn zum Eroberer gemacht; sein stolzer Sinn blieb sich immer gleich bei seinen Eroberungen und seiner Staatskunst; seine Nachbarn fürchteten ihn, und seine Völker bewunderten ihn ehrfurchtsvoll: welches das Los der Tugend ist, die sich mit sehr viel Strenge paart. So beherrschte Naur das Land seit zwanzig Jahren, und seine Macht schien sich sowohl auf Mut und Verstand und Gerechtigkeit aufzubauen, daß man niemals geglaubt hätte, er könnte einmal die Kehrseite des Glückes kennen lernen.
Der König hatte niemals das Entzücken der
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