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Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen

Titel: Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonymer Verfasser
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Liebe erfahren und solche Leidenschaft immer für eine menschliche Schwäche gehalten; die zahllosen Schönen, die seinen Harem bevölkerten, den geheimen Ort seiner süßesten Freuden, hatten ihn niemals überzeugen können, daß man dem Willen derer Untertan sein, die man dem seinen unterwirft, und der Sklave seiner Sklaven werden kann. Er hatte mehr denn je diesem Fehler vorgebeugt, als ihm der Aufseher seines Harems die unvergleichliche Fatme zuführte; sie erschien vor ihm zuversichtlicher auf die Vorzüge, mit denen sie die Natur begabt hatte, als es Naur auf die des Thrones war. Die Geisteskraft des Fürsten, der über alle Dinge streng urteilte, selbst die Härte seines Herzens, das nur für das übernatürliche Verdienst empfänglich war, alle diese ihm angeborenen Gefühle, gesteigert durch die Gewohnheit und die Eitelkeit, sie auszuüben, wurden in einem Augenblick vor seiner neuen Sklavin zunichte. Indessen zeigte sie keinen Stolz, der aufreizen konnte; alles war Anmut und Schönheit an ihrer Person, selbst ihr hoher Sinn war für die Erhabenheit ihrer Gestalt und den Adel ihrer Züge notwendig.
    Naur fühlte seine Niederlage, wurde zornig darüber und wollte sie sich verhehlen; und in der Hoffnung, sie zu vermeiden, war seine erste Sorge, sich solch eines gefährlichen Gegenstandes zu entschlagen; jedoch ließ sich die Liebe nicht lange unterbinden. Fatme tat so, als ob sie nicht bemerkte, welche Gefühle sie in einem so stolzen Herzen erzeugte, und wünschte sich Glück dazu; ihrer Eigenliebe wurde dadurch geschmeichelt, und sie ergab sich nur den stürmischen Wünschen ihres Herrn, nachdem sie über ihn triumphiert hatte. Der König von Kaschmir war nur allzu entschuldbar, einer so vollkommenen Schönheit nachzugeben; ihre schwarzen Haare machten mit ihrer Länge der dunkelsten Nacht den Vorrang streitig, ihr strahlendes Antlitz sprach zum Monde, als er an seinem vierzehnten Tage schien: Scheine, oder ich scheine. Wenn ein Derwisch, der die Nacht in andächtigen Gebeten verbringt, einzig im Traume ein Wesen gesehen hätte, das ihr zu gleichen vermöchte, würde er darüber den Verstand verloren haben. Ihre Zähne reihten sich noch besser aneinander als der schönste Perlenstrang; das Grübchen in ihrem Kinn war das Gefängnis der Herzen; der köstliche Duft, den ihre Gestalt von Natur verbreitete, übertraf den des geschätztesten Moschus; und das schwarze Mal, das sie neben dem linken Auge hatte, war einer der größten Reize, welche die Liebe ihrer ganzen Gestalt gegeben hatte.
    Naur, der stolze Naur, entbrannte in wenig Zeit so für die schöne Fatme, daß er selbst inmitten des innigsten Genusses nicht leben konnte, ohne ihre Schönheit zu betrachten und ihre schönen Haarflechten zu bewundern. Und er war über all die Gefühle überrascht, deren Neuheit sie seinem Herzen noch angenehmer machte; er überließ sich daher unaufhörlich der süßesten Liebe und war berauscht von den Reizen seiner schönen Sklavin, die er alle Tage mit neuer Freude sah. Das schwarze Mal, über das er gar noch entzückter war als über all ihre andern Vorzüge, war ein Samenkorn in seinem Herzen, das dort eine grenzenlose Liebe zeitigte. Der König dichtete im Rausche seiner Leidenschaft folgendes zarte Lied, das man noch heute in Persien singt:
    Es war ein Wahn, daß ich sie könnte lassen;
Denn ihre schönen Haare fesseln mich,
Und wider Willen steh ich unterjocht ...
    Der zum ersten Male verliebte Naur kannte weder Mißtrauen noch Eifersucht; seine Gemütsart hatte ihn bislang die Frauen nur mit einer gewissen Verachtung ansehen lassen, und in seiner Liebe überließ er sich anfangs der ruhigsten Zuversicht. Und was ihm selbst noch an Stolz Fatme gegenüber blieb, ließ ihn nicht an ihrer Dankbarkeit und Zärtlichkeit zweifeln. ›Da ich endlich liebe,‹ sprach er zu sieh selbst, ›bin ich auch geliebt.‹
    Als die schöne Sklavin sich der Macht ihrer Reize wohl bewußt wurde und glaubte, ihres Einflusses auf das Gemüt ihres Herrn hinreichend sicher zu sein und sein Herz unterjocht zu haben, als sie nicht mehr um die Eroberung besorgt war, schien ihr die ihres Herrn nicht zu genügen, zumal sie seiner sicher war, und sie bedurfte für ihr eigenes Glück noch einer anderen. Und wenig geschmeichelt mit einem Liebhaber, in dem sie immer ihren Herrn wiedererkannte, wollte sie ein Herz verwunden, das nur seinem Verdienste das Geschenk verdankte, das sie ihm mit dem ihren machte.
    In den Zeiten, wo Kaschmir einen

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