Tausend und ein Tag - Orientalische Erzählungen
besonderen König hatte, wurden die Harems nicht mit großer Strenge bewacht; es gab sogar mehrere Hauptleute, die für den Dienst des Fürsten ausersehen und durchaus keine Eunuchen waren, die zum Inneren des Palastes Zutritt hatten.
Naur hatte einen Günstling mit Namen Abukazir, den er immer um sich hatte; der war groß, wohlgebaut und von überraschender Schönheit; seine Worte waren so süß wie Honig, und sein Gesicht war nur mit einem zarten Flaum bedeckt, der den Kräutern vergleichbar war, die an den Ufern der Milchflüsse wachsen, die im Paradiese einherströmen. Der diente dem König täglich, wenn er in Fatmes Gemächern war, und niemals hielt sich ein anderer Hauptmann an seiner Seite, wenn er mit seiner schönen Sklavin tafelte. Auf Abukazir warf sie ein Auge und versuchte tausendmal seine Blicke, um den Knoten seiner Gedanken zu lösen: einige Male glaubte sie einen Hoffnungsstrahl in ihnen zu erkennen, aber bald sah sie in seinem ganzen Benehmen nichts weiter als die Merkmale einer Unterwürfigkeit, die sie zur Verzweiflung brachten. Diese Herzenspein trug ihr schließlich eine unbekannte Ruhelosigkeit ein, die selbst ihre Schönheit angriff. Naur äußerte darüber die lebhaftesten Sorgen; jedoch bedauerte sie bald die Verminderung ihrer Reize nicht mehr: die zarten und mitleidigen Blicke, die sich Abukazir nicht enthalten konnte, auf sie zu werfen, belebten sie schnell aufs neue und waren dem wohltuenden Sonnenstrahle vergleichbar, der eine junge Blüte wieder aufrichtet, die ein wütiger Sturm niedergebeugt hat. In Wahrheit waren diese Bezeigungen so klug und maßvoll, daß Fatme darin nur eine geringe Hoffnung lesen konnte; indessen überließ sie sich ihr voller Entzücken.
Diese ersten Annäherungen gewöhnten Liebhaber und Geliebte bald daran, sich ihrer Augen und ihrer Augenwimpern zu bedienen, um sich Bitten und Antworten zuzustellen, indem sie eine glückliche Gelegenheit erwarteten, die zarten Vorwürfe, die süßen Fragen und zärtlichen Versicherungen ausdrücken zu können, die den Reiz aller Liebesabenteuer oder mehr noch einer keimenden Liebe ausmachen.
Hierzu war die Essenszeit am günstigsten für sie, weil sie sich dann sehr lange und aus nächster Nähe sahen. Fatme, die in Abwesenheit ihres Liebsten zu sterben glaubte, dachte nur daran, sie möglichst auszudehnen, und der Vorschlag, den sie deswegen dem König machte, diente nur dazu, ihn noch heißer als vorher zu entflammen, weil er urteilte, der Wunsch, ihn öfters zu sehen, verursachte solches.
Eines Tages nun, als sich der Fürst und die schöne Sklavin einander bei Tische gegenübersaßen, ließ Fatme, sooft sie es ohne Gefahr einrichten konnte, ihre Blicke zu Abukazir hinübergleiten. Der bediente seinen Herrn, und ungebundener in den Vorsichtsmaßregeln, da er, hinter ihm stehend, dabei nicht beobachtet werden konnte, verschlang er sie mit seinen Blicken, während Naur sie selbst mit solcher Leidenschaft anblickte, daß er nur sie in der ganzen Natur sah und solche Stelle des göttlichen Korans auf ihren rosigen Wangen zu lesen vermeinte: Das Weib ist das beste Werk des Schöpfers. Diese Blicke genügten nicht, um Fatmes Herz zu beruhigen und zu unterhalten; die Schöne der Schönen wünschte das Vergnügen, ihren neuen Liebhaber zu sehen und von ihm gesehen zu werden, länger auszukosten und wollte noch die Mittel finden, ihm den Umfang ihrer Liebe zu zeigen und die seinige besser erfahren zu können; sie schlug daher dem Könige vor, ihm eine Geschichte erzählen zu dürfen. ›Ich willige darein,‹ entgegnete er, ›wenn wir vom Mahle aufgestanden sind, und werde mit Begeisterung die Reize deines Geistes kennenlernen, die sicher denen gleichen, welche deine ganze Gestalt meinen Augen darbietet!‹ ›Wenn ich es wagen darf, meinem Herrn und Gebieter etwas vorzuschlagen,‹ nahm das schöne Mädchen das Wort, ›so scheint es mir, daß sich eine Geschichte geeigneter in dem Zustande, in dem wir sind, erzählen läßt. Wenn sie weniger spannend ist, greift man nach einer Frucht, verlangt Scherbett oder einige Schlucke Weines von Schiras; solches vermehrt die Lebhaftigkeit der Erzählenden und entschädigt den Zuhörer für die langweiligen Dinge; ich finde, daß diese Hilfe unbedingt notwendig ist! Diese geheuchelte Bescheidenheit zog ihr die erwarteten Lobsprüche zu und gab nur noch mehr Lust, sie anzuhören. Die Blicke Abukazirs und des Königs Worte versicherten ihr, wie sehr sie sich darauf freuten. Die lebhafte
Weitere Kostenlose Bücher