Tausend und eine Nacht, Band 4
regelmäßigen Zügen oder das Ebenmaß und die Grazie ihres Wuchses. Nachdem sie eine Weile gebadet hatten, stiegen sie wieder ans Land und gingen im Garten spazieren. Djanschah verlor fast den Verstand, als er sie in der Nähe sah; er lief ihnen nach und grüßte sie. Als sie seinen Gruß erwiderten, fragte er sie: »Wer seid ihr, meine Damen, und wo kommt ihr her?« Da sagte die Jüngste unter ihnen: »Wir kommen aus dem Reiche Gottes, um in diesem Garten ein wenig spazieren zu gehen.« Djanschah blieb eine Weile betroffen; dann sagte er: »O habe doch Mitleid mit mir und mit meinem Zustand, es sind mir schon gar zu viele Leiden im Leben zugestoßen.« Das Mädchen antwortete: »Ich kann dir nicht helfen; geh' deines Weges!«
Djanschah weinte heftig über diese Antwort, denn er war schon in Liebe und Verlangen aufgelöst, und er sprach folgende Verse:
»Sie erschien mir im Garten im grünen Gewande mit aufgelöstem Gürtel und herunterhängenden Haaren; ich frage sie nach ihrem Namen, und sie antwortet: Ich bin die, welche das Herz der Liebenden wie mit heißen Kohlen entzündet. Da klage ich ihr die Qualen der Liebe und sie antwortet: Du klagst einem Felsen, weißt du das nicht? Ich erwidere: Wäre auch dein Herz ein Felsen, hat nicht Gott Wasser aus einem Felsen entspringen lassen?«
Die Mädchen machten sich über diese Verse lustig und fuhren fort, zu scherzen und zu spielen und zu singen. Djanschah brachte ihnen dann einige Früchte, die sie aßen; dann legten sie sich nieder und schliefen die ganze Nacht in der Nähe von Djanschah. Als der Morgen leuchtete, zogen sie ihre Kleider wieder an und flogen in der Gestalt von Tauben davon. Djanschah sah sie vor seinen Augen verschwinden und verlor fast seinen Verstand darüber; er schrie laut auf und fiel in eine Ohnmacht, die den ganzen Tag dauerte.
Scheich Naßr aber war inzwischen von seiner Zusammenkunft mit den Vögeln zurückgekehrt und hatte schon einige Vögel gebeten, Djanschah in seine Heimat zu bringen, was die Vögel auch gerne tun wollten; er suchte Djanschah überall im Schloß, konnte ihn aber nirgends finden. Endlich kam er an die Tür des verschlossenen Gemachs und fand sie offen; da dachte er: Djanschah müsse trotz seines Verbotes hineingegangen sein; und als er vor das Schloß kam, fand er ihn ohnmächtig auf dem Boden liegen.
Als Djanschah durch die Pflege des Scheichs Naßr aus seiner Ohnmacht erwachte, seufzte er vor Liebe und Sehnsucht und rezitierte folgende Verse:
»Sie erschien wie der Mond in der Nacht der Seligkeit, mit zarten Hüften und schlankem Wuchs und einem Auge, so reizend, daß es jedes Herz fesselt; die Röte ihrer Lippen glich Rubinen, und lange, schwarze Haare bedeckten ihren Rücken. Hüte dich wohl vor ihr, denn ihr Herz ist härter als ein Fels; aus den Bogen ihrer Augenbrauen sendet sie Pfeile ab, die auch aus der Ferne nie das Ziel verfehlen.«
Als Scheich Naßr diese Verse hörte, sagte er: »Mein Sohn, habe ich dich nicht vor der verschlossenen Tür gewarnt? Warum hast du mein Gebot nicht beobachtet?« Djanschah weinte so heftig, daß er lange nicht imstande war, Scheich Naßr zu erzählen, was ihm in seiner Abwesenheit widerfahren. Dann bat er ihn, ihm zu sagen, wer die drei Mädchen waren, die ihm als Tauben erschienen. Scheich Naßr antwortete: »Diese drei Tauben sind Genientöchter, die jedes Jahr einmal hierher kommen, um in diesem Garten auszuruhen, und dann wieder in ihre Heimat zurückkehren.« – »Und wo ist denn ihre Heimat?« fragte Djanschah. Scheich Naßr antwortete: »Bei Gott! Mein Sohn, das weiß ich selbst nicht! Darum rate ich dir: Mache dich jetzt auf; ich will dich mit den Vögeln in deine Heimat schicken. Denke nicht mehr an diese Mädchen, die dir ewig unerreichbar bleiben!« Djanschah stieß ein furchtbares Geschrei aus, als er diese Worte hörte, und fiel wieder in Ohnmacht. Als er wieder zu sich kam, sagte er zu Scheich Naßr: »O mein Vater! Ich werde nicht in meine Heimat zurückkehren, bis ich diese Mädchen wieder gesehen, ich will lieber hier sterben; laß mich hier bleiben, ich bin zufrieden, wenn ich sie nur jedes Jahr einmal sehe.« Er warf sich dann Scheich Naßr zu Füßen und küßte sie, und fuhr heftig weinend fort: »Habe Mitleid mit mir, Gott wird sich auch deiner erbarmen; hilf mir in meiner Not, Gott wird auch dir helfen!« Da sagte ihm Scheich Naßr: »Bei Gott! Mein Sohn, ich weiß nicht, wer diese Mädchen sind; doch wenn deine Liebe so heftig ist, so bleibe
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