Tausend und eine Nacht, Band 4
noch ein Jahr bei mir; sie müssen gewiß das nächste Jahr um diese Zeit wiederkehren; da verbirgst du dich im Garten unter einem Baum, und wenn sie in den Teich steigen, um zu baden und zu scherzen, und recht weit von ihren Kleidern sind, da springst du hervor und nimmst das Kleid derjenigen von ihnen, die dir am besten gefällt. Wenn dann die Mädchen dich bemerken, werden sie ans Land steigen und die, deren Kleid du genommen, wird dich mit süßen Worten und rührender Stimme bitten, ihr das Federnkleid zurückzugeben. Gibst du ihr dann Gehör, so bleibt dir kein Mittel mehr übrig, sie an dich zu fesseln, denn sobald sie ihr Kleid wieder anzieht, fliegt sie in ihre Heimat, und du siehst sie nie mehr wieder. Nimm daher ihr Kleid unter den Arm und gib es ihr ja nicht zurück, bis ich von der Zusammenkunft mit den Vögeln zurückkehre, da will ich euch verbinden und zusammen in deine Heimat zurücksenden. Das ist alles, mein Sohn, was ich für dich tun kann, sonst nichts.«
Djanschah beruhigte sich bei diesen Worten und blieb noch ein ganzes Jahr bei Scheich Naßr, bis endlich die Zeit der Zusammenkunft mit den Vögeln wiederkehrte; da kam Scheich Naßr und sagte zu ihm: »Ich gehe jetzt wieder zur Versammlung der Vögel; beherzige wohl, was ich dir geraten in bezug auf die Kleider der Mädchen.« Djanschah versprach ihm, alles zu befolgen, und wünschte ihm Glück zur Reise. Sobald Scheich Naßr fort war, ging Djanschah in den Garten und verbarg sich unter einem stark belaubten Baum, und wartete darunter drei Tage lang; da aber niemand kam, war er sehr betrübt und niedergeschlagen und weinte, bis er in Ohnmacht fiel. Nach einer Weile, als er wieder zu sich kam, sah er bald nach dem Himmel, bald auf die Erde, bald in den Teich, und sein Herz zitterte vor Liebe und Verlangen. Auf einmal kamen drei Tauben aus der Luft und ließen sich neben dem Teich nieder. Sie drehten sich nach allen Seiten um, und als sie niemanden, weder einen Menschen noch einen Genius erblickten, entkleideten sie sich, stiegen in den Teich und spielten und scherzten miteinander. Als sie glänzend wie neugegossenes Silber im Wasser umherschwammen, sagte die älteste zu den anderen: »Wie wäre es, wenn jemand in diesem Garten verborgen wäre?« Die mittlere antwortete: »Wo denkst du hin? Seit der Zeit unseres Herrn Salomo ist weder ein Mensch noch ein Genius in dieses Schloß gekommen.« Hierauf sagte die jüngste lachend: »O wenn jemand im Garten verborgen wäre, würde er gewiß mich rauben!« Dann scherzten sie wieder untereinander und schwammen im Teich umher. Djanschah, der unter dem Baum hervor sie ungesehen beobachten konnte, wartete mit zitterndem Herzen, bis sie mitten im Teich waren, recht weit von ihren Kleidern, dann sprang er hervor wie ein Blitz und nahm das Federnkleid der Jüngsten, welche Schemsiah hieß. Als die Mädchen sich umdrehten und Djanschah erblickten, tauchten sie vor Scham unter das Wasser; dann hoben sie nur den Kopf aus dem Wasser hervor, näherten sich dem Ufer und fragten ihn: »Wie kommst du hierher und wer bist du, daß du Schemsiahs Kleider nimmst?« Djanschah antwortete: »Kommt nur näher her zu mir, da will ich euch erzählen, wie es mir gegangen.«
Da sagte Schemsiah. »Wer bist du, daß du gerade meine Kleider gestohlen, und mich hier ohne Bedeckung gelassen?« Djanschah antwortete: »O Licht meines Auges, Innerstes meines Herzens, steige nur ans Land, da will ich dir alles sagen, wie ich dich kennengelernt und warum ich hierher gekommen.« Schemsiah sagte: »O mein Herr, Freude meines Auges, Frucht meines Herzens, gib mir meine Kleider, daß ich meine Scham bedecke, dann will ich zu dir kommen.« – »Ich will mich nicht selbst vor Liebesgram ins Grab stürzen; ich kann dir deine Kleider nicht zurückgeben, bis Scheich Naßr kommt.« – »Wenn du mir meine Kleider nicht geben willst, so warte, bis meine Schwestern angezogen sind, daß sie mir etwas bringen, um mich zu bedecken.« –»Das will ich recht gern«, sagte Djanschah und ging einstweilen voraus ins Schloß. Die Mädchen stiegen dann ans Land, und die ältesten gaben der jüngsten einen Teil ihrer Kleider, mit denen sie aber nicht fliegen konnte, und sie gingen zusammen ins Schloß zu Djanschah, der auf dem Thron saß. Schemsiah, die wie der Mond oder wie eine weidende Gazelle aussah, setzte sich neben ihn und sagte: »O schöner Jüngling, der du dich und uns ins Verderben gestürzt, erzähle mir nun, was dir widerfahren.« Djanschah
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