Tausend weisse Flocken
sie, ihr die Wahrheit vorzuenthalten und ohne eine Erklärung aus ihrem Leben zu verschwinden?
Um sich von der schwierigen Aufgabe abzulenken, die vor ihr lag, lief sie an diesem Nachmittag wieder Ski, und zwar auf derselben Loipe wie am Vortag, weil sie niemandem begegnen mochte.
Sie wollte mit sich selbst ins Reine kommen und Abschied nehmen. An jenem abgeschiedenen, friedlichen Ort, den Melanie auch immer aufsuchte, wenn sie allein sein wollte, konnte sie sich mit ihrem Kummer auseinander setzen und versuchen, ihn zu akzeptieren.
An der Hütte angekommen, lehnte Claire ihre Ski an das Verandageländer und setzte sich auf die Stufen, um die Aussicht zu genießen. Die schneebedeckten Berge und der endlose blaue Himmel waren schon immer hier gewesen und würden auch noch hier sein, wenn sie längst tot war. Wie die Liebe würden sie fortbestehen.
Der Gedanke tröstete Claire, denn egal, was die Zukunft für sie bereithielt, sie würde einen Teil von Melanie und auch von Zachary mitnehmen. Zachary hatte ihr vermittelt, wie schön es war, wenn zwei Menschen Leidenschaft miteinander erlebten, und Melanie hatte ihr gezeigt, wie es war, wie eine Mutter zu lieben - selbstlos und in dem Bewusstsein, dass sie ein Kind glücklich gemacht hatte.
Es war nicht das, was sie wollte, aber es war alles, was sie bekommen würde, und daher musste es genügen.
10. KAPITEL
Claire hatte sich gerade zum Abendessen umgezogen, als Zachary an die Tür klopfte. Zuerst wollte sie ihn ignorieren, doch er rief: "Ich weiß, dass du da bist, und wenn es sein muss, werde ich die ganze Nacht hier stehen. Du kannst mich also genauso gut reinlassen."
Sie konnte sich gut vorstellen, was der Grund für seinen Zorn war, und seufzte resigniert.
Ihr Treffen mit Melanie war nicht einfach gewesen. Die Eröffnung, dass sie früher als geplant abreiste - und am selben Tag wie die Dawsons -, hatte bei Melanie große Bestürzung hervorgerufen, und nicht einmal ihr Geschenk, eine antike Brosche, hatte sie zu trösten vermocht. Um sie zu beschwichtigen, hatte sie, Claire, ihr vorgeschlagen, über Silvester nach Vancouver zu kommen und einige Tage bei ihr im Hotel zu bleiben. "Natürlich musst du erst deinen Vater fragen", hatte sie sie gewarnt. "Aber vielleicht erlaubt er es dir, wenn er weiß, dass du in guten Händen bist."
"Rechne lieber nicht damit", hatte Melanie verdrossen erwidert. "Ich kann nie machen, was ich will."
Offenbar hatte sie Recht gehabt, denn Zachary hämmerte wütend an die Tür.
Claire wappnete sich gegen seinen Zorn und ging hin, um zu öffnen. "Ich bin nicht taub", erklärte sie, als sie die Tür aufriss.
"Du brauchst dich also nicht aufzuführen, als würdest du die Bastille stürmen."
"Wenn ich es tun würde, würde ich dafür sorgen, dass du eingesperrt bist, denn auf freiem Fuß stellst du eine Bedrohung dar", brachte er wütend hervor.
Er war offenbar gerade dabei gewesen, sich umzuziehen, denn er trug bereits eine Smokinghose mit akkurater Bügelfalte und auf Hochglanz polierte schwarze Schuhe, aber noch keine Jacke. Die obersten drei Knöpfe seines weißen Hemds sowie die Manschetten waren offen, und das Haar fiel ihm in die Stirn.
Trotzdem bot er in seinem Zorn einen beeindruckenden Anblick.
"Ich schätze, ich habe wieder einen Fauxpas begangen", meinte Claire sanft, als ihr Blick auf das Schmuckkästchen in seiner Hand fiel. "Billigst du mein Geschenk an deine Tochter nicht?"
"Was Mel betrifft, billige ich nichts, was du tust", erklärte Zachary scharf. "Sie hat keine Verwendung für teuren Schmuck, wie jedem, der auch nur einen Funken Verstand hat, klar sein dürfte."
"Die Brosche war nicht teuer." Als er ihr das Schmuckkästchen geben wollte, zog sie die Hand zurück. "Die Steine sind nicht echt, und ich werde sie nicht zurücknehmen.
Ich habe sie Melanie geschenkt und möchte, dass sie sie behält."
"Zu schade. Ich gebe sie dir trotzdem zurück." Er atmete scharf aus. "Und noch etwas. Du hast bereits klargestellt, dass du nichts mehr mit mir zu tun haben willst und unsere ganze ...
Beziehung ein Fehler war. Und nun bin ich an der Reihe. Von jetzt an wirst du dich von Mel fern halten. Keine Gespräche mehr von Frau zu Frau, keine Treffen mehr, und du wirst ihr auch keine Flausen mehr in den Kopf setzen, dass sie nach Vancouver fliegt, und auch nicht mehr versuchen, ihre Zuneigung mit Schmuck zu erkaufen. Nichts.
Rien.
Comprenez?"
"Ich habe auf schmerzliche Weise erfahren, dass du herzlos bist, Zachary",
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