Tausend Worte der Liebe
dem geheimnisumwobenen Bruder hätte darauf schließen lassen, wie sympathisch und gut aussehend dieser Mitch Prescott war: groß, mit breiten Schultern und Haar, das an Honigkaramell erinnerte. Am eindrucksvollsten fand Shay seine Augen, die fast schwarz waren, leuchtend, wach und zärtlich, alles auf einmal. Das weiße Sporthemd stand am Hals offen und enthüllte lockiges Brusthaar. Als seidiger Flaum schimmerte das Haar auf dem Rücken der sehnigen, kräftigen Hände, die zweifellos zuzupacken verstanden. Wie würde es sein, von diesen Händen gestreichelt zu werden?
Shay wehrte sich gegen diese ungewöhnlichen, irritierenden Gefühle. Seit langer Zeit, genaugenommen seit der bitteren Erfahrung mit Eliott Kendall, hatte die Fantasie ihr keine derart erotischen Bilder vorgegaukelt.
Shay machte sich gerade und bemühte sich, Mitch zu ignorieren. Er durfte auf keinen Fall merken, wie sehr er sie durcheinanderbrachte. Er wirkte ruhig und gelassen, sich seiner selbst völlig sicher, fast arrogant.
Ivy plauderte mit glänzenden Augen. Sie war glücklich und freute sich, außer Todd noch den vergötterten Bruder am Tisch zu haben. »Wollt Ihr euch keinen Hummer aussuchen?«, fragte sie und sah dabei Shay und Mitch an.
»Ich esse aus Prinzip nichts«, lehnte er entschieden ab, »was ich vorher am Boden eines Bassins habe kriechen sehen. Ich nehme Steak.«
»Und du, Shay?«, wandte Ivy sich enttäuscht an die Freundin. »Du nimmst doch Hummer?«
Shay griff nach der Speisekarte und versteckte sich dahinter. Warum nur war sie nicht ihrem Instinkt folgend zu Hause geblieben? Sie hätte wissen müssen, dass sie den Abend nicht würde durchstehen können. Der Tag war einfach zu schlimm gewesen. Dazu noch der Verlust des Hauses – besser gesagt: Verkauf des Hauses. »Shay?« Ivy ließ nicht locker.
»Ich nehme auch Hummer«, entschied Shay, hauptsächlich deshalb, weil sie sich nicht auf die Menüs konzentrieren konnte. Zu albern, immerhin war sie neunundzwanzig, Mutter eines sechsjährigen Sohnes und Ernährerin der Familie. Warum musste sie sich hinter einer dummen Plastikmappe verkriechen?
»Dann geh und suche dir einen aus.«
Shay schüttelte den Kopf. »Das soll der Kellner für mich tun.« Ich hab’ keine Lust, Todesurteile zu sprechen, dachte sie, und genauso wenig möchte ich Dokumente unterzeichnen, die den Besitz, an dem ich so hänge, einem Fremden zueignen.
Sie senkte die Speisekarte, und sofort trafen sich ihre Blicke, da Mitch sie nachdenklich betrachtet hatte. Ein Prickeln rann über Shays Haut, und die Spitzen ihrer Brust wurden hart, und das Blut stieg ihr in die Wangen. Mitch lächelte fast unmerklich, als wisse er genau, was in ihr vorging.
Nimm dich zusammen, schalt Shay sich, du kennst diesen Mann nicht einmal.
Der Kellner nahm die Bestellungen auf, Shay hörte kaum zu. Doch dann machte Ivy eine Ankündigung und versetzte Shay damit in volle Alarmbereitschaft.
»Shay wird ein Star«, sagte Ivy. »Ich wette, dass sie in den Werbespots so gut ist, dass Marvin sie anschließend in allen einsetzen wird.«
»Ivy!« Shay protestierte entsetzt. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte sie, dass Mitch belustigt lächelte.
»Ist das denn ein großes Geheimnis?«, verteidigte sich Ivy. »In diesem Sendebereich wird dich sowieso jeder sehen. Du wirst berühmt werden.«
»Oder berüchtigt«, fiel neckend Todd ein. Dann wechselte er das Thema: »Wie geht es deiner Mutter, Shay?«
Shay hatte keine Lust, von Rosamond zu sprechen. Doch das war auf alle Fälle einer Beschreibung der Werbespots vorzuziehen. »Ihr Zustand ist unverändert«, antwortete sie bedrückt.
Glücklicherweise wurde der Salat serviert. Shay tat, als wäre sie am Verhungern, denn niemand konnte erwarten, dass sie sich mit dem Mund voll Salatblättern und Dressing am Gespräch beteiligte. Zum Glück kam man auf andere Themen zu sprechen. So wurde über Todds Wunschtraum diskutiert, im Süden von Skyler Beach eine Reihe von Ferienhäusern zu bauen.
Während des Essens plauderte Ivy dann über die Hochzeit, die Weihnachten stattfinden sollte. Doch nachdem das Geschirr abgeräumt war, legte Todd die Verträge auf den Tisch, durch die Rosamonds Besitz am Meer auf Mitch übertragen wurde. Shay unterzeichnete schweren Herzens. Als Ivy und Todd aufstanden um zu tanzen, schien ihr der Moment gekommen, sich zu verabschieden.
»Warten Sie!«, sagte Mitch mit herber Freundlichkeit, und seine Stimme berührte Shay.
Sie sank in ihren Stuhl zurück,
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