Tausendschön
gewinnen konnten, noch eine weitere Sache bedeuten kann.«
» Und die wäre?«, fragte Peder widerwillig, obwohl er zugleich an Joars Analyse interessiert war.
» Dass sie noch eine zweite Wohnung hatten, in der sie sich eher zu Hause fühlten und die uns bestimmt ein anderes Bild von den beiden vermitteln würde.«
Es war eine seltsame Welt, in der sie tätig war. Dieser Gedanke kam ihr keineswegs zum ersten Mal, doch geschah es immer ein wenig überraschend. Fredrika Bergman war es immer wichtig gewesen, sich selbst und andere darauf hinzuweisen, dass sie ihren derzeitigen Job aus karrierestrategischen Gründen gewählt hatte und nicht etwa, weil sie vorhatte, ihn sonderlich lange auszuüben. Der Grund, warum es ihr wichtig war, dies zu betonen, war ebenso einfach wie beklemmend: Sie fühlte sich nicht besonders wohl.
Als Zivilangestellte zwischen lauter Polizisten mit oder ohne Uniform wurde sie immerzu daran erinnert, wie anders sie war und dass man sie als Fremdkörper betrachtete. Ein ungewohntes Gefühl für sie, denn in anderen Zusammenhängen passte sie in der Regel immer sehr gut dazu.
Es war schon besser geworden, vor allem Alex und Peder schienen sie nach dem gemeinsamen Fall im vergangenen Sommer, der zur Feuertaufe für sie alle geworden war, mit anderen Augen zu sehen.
Fredrika hatte auch feststellen können, dass sie selbst sich seither verändert hatte. Sie versuchte, nicht mehr so empfindlich zu sein. Zu Anfang war sie immer gleich auf alles angesprungen, doch mit den unerwarteten Anstrengungen der Schwangerschaft war sie immer weniger erpicht darauf, jede Einladung zu Streit oder Diskussion anzunehmen. Manchmal allerdings spielte es keine Rolle, wie sie darüber dachte, sondern der Konflikt war unvermeidlich. So wie eben.
Sie war zur Kripo gegangen, wo die Fingerabdrücke gespeichert wurden. Sie hatte eine einfache Frage gestellt – ob man womöglich die Fingerabdrücke des überfahrenen Mannes im Computer gefunden hatte, sei es in der Datei der Kripo oder bei der Einwanderungsbehörde.
Die Frau, der sie die Frage gestellt hatte, hatte sich über Gebühr aufgeregt. Ob Fredrika nicht wisse, welch wahnsinniger Arbeitsbelastung sie ausgesetzt seien, seit Gudrun vorigen Monat zusammengeklappt war. Sei ihr etwa nicht klar, dass die Biker-Razzia, die die Kripo in der vorvergangenen Woche losgetreten hatte, Vorrang hatte?
Für Fredrika war die Reaktion der Frau vollkommen unverständlich gewesen. Weder Gudrun mit ihrer Krankheit noch die Biker waren ihr ein Begriff gewesen. Außerdem glaubte sie nicht, dass irgendetwas davon mit ihrem Fall zu tun hatte, sondern dass die Frau schlichtweg vergessen hatte, die Fingerabdrücke des Toten durchs System zu schicken.
» Sie können nicht einfach hier reintrampeln und jede Menge Sachen fordern!«, motzte die Frau hinter ihrem Bildschirm. » Das ist so verdammt typisch für Leute, die von außen zur Polizei kommen: dass sie kein Gefühl für Prioritäten haben.«
Fredrika hatte knapp ihr Bedauern darüber geäußert, dass die Frau so viel auf ihrem Schreibtisch hatte. Sie könne durchaus noch einen weiteren Tag auf die Antwort warten, und die Frau möge sich doch melden, wenn sie so weit war. Dann war sie so schnell wie möglich zum Fahrstuhl geeilt.
Jetzt saß sie schwergewichtig in ihrem Bürostuhl. Ihre Mutter meinte ja, sie sei ungewöhnlich schmal dafür, dass ihre Schwangerschaft bereits so weit fortgeschritten war. Doch das konnte Fredrika nur schwer ernst nehmen. Das Kind strampelte wie wild und fuhr mit seinen wütenden kleinen Füßen über die Innenseite ihres Bauchs.
» Ja, du bist ungeduldig«, murmelte Fredrika und legte eine Hand auf den Bauch, » das bin ich auch.«
Ihre Eltern hatten sie gefragt, ob die Schwangerschaft geplant gewesen sei, und Fredrika hatte die Frage bejaht, gleichzeitig aber vermieden, weiter ins Detail zu gehen. Es war im vorigen Sommer gewesen, in dem es überhaupt nicht mehr aufhören wollte zu regnen, als die Pläne konkret geworden waren. Fredrikas fünfunddreißigster Geburtstag hatte vor der Tür gestanden, und sie hatte sich entscheiden müssen, wie sie sich zu ihrer Kinderlosigkeit verhalten sollte. Oder besser gesagt: was sie in der Sache unternehmen wollte. Sonderlich viele Alternativen hatte sie nicht. Entweder adoptierte sie ein Kind als Alleinerziehende, oder sie reiste nach Kopenhagen und löste das Problem mithilfe einer Samenspende. Oder sie fand jemanden, mit dem sie zusammenleben und auf
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