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Taxi

Titel: Taxi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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ihr Wollpullover waren voller Tannennadeln und Rinde.
    »Ich dachte mir, ich komm schnell mit«, sagte ich und hielt ihr die Handtasche entgegen. »Dann brauchen Sie nicht den ganzen Weg wieder zurückzulaufen.«
    Sie nahm ihre Tasche nicht, sondern watschelte bloß wütend vor mir her. Ich folgte ihr ins Treppenhaus und dann in den zweiten Stock. Nachdem sie aufgeschlossen hatte, versuchte sie, mir die Tür vor der Nase zuzuziehen. Sie war aber zu langsam, und ich schob mich mit hinein und sah mich um, ob es etwas gab, das ich pfänden könnte. Der Flur war leer. Nur ein Spiegel mit rotem Kunststoffrahmen hing an der Wand. Ich stellte die Tasche auf dem Fußboden ab.
    »Das ist der Taschenservice des Autorufs«, sagte ich munter, »exklusiv für Stammkunden.«
    Die dicke Frau verschwand vor sich hinschimpfend hinter einer Zimmertür. Ich wollte gerade hinterher, da ging die Tür wieder auf und ein großer Mann kam heraus. Er trug eine Jeans, aus der oben eine lila Satinunterhose herausschaute. Sein Oberkörper und die Füße waren nackt. Der Oberkörper war vom Rand der Unterhose bis über den Hals und bis zu den Handgelenken flächendeckend tätowiert. Durch die offene Tür sah ich, wie sich die dicke Frau auf eine ähnlich wild gemusterte Couch fallen ließ. In einem Fernseher wurde gelacht.
    »Was gibt’s denn?«
    Die Stimme des tätowierten Mannes war beinahe freundlich. Auf dem Bizeps seines rechten Armes zuckte ein Goldfisch mit den Flossen.
    »Ich bin das Taxi«, sagte ich. »Ihre Frau hatte kein Geld dabei. Ich krieg noch zwanzig Mark.«
    Ich wusste natürlich nicht, ob sie seine Frau war. Vielleicht war sie auch seine Mutter.
    »Okay«, sagte er, ging wieder ins Wohnzimmer zurück und zog die Tür hinter sich zu. Ich wartete drei Minuten, dann öffnete ich vorsichtig selbst. Der tätowierte Mann und die dicke Frau saßen jetzt zusammen auf der Couch, blau angestrahlt vom Fernsehbild. Vor ihnen auf einem Tisch stand ein Aschenbecher. Der Rauch zweier Zigaretten stieg kerzengerade in die Luft. Der tätowierte Mann und die dicke Frau drehten langsam die Köpfe und schauten mich an, als hätten sie mich noch nie gesehen.
    »Ich krieg noch zwanzig Mark«, sagte ich.
    Der Mann stand auf, griff in seine Hosentaschen – vorne rechts, hinten links, hinten rechts – ging hinüber zu einem Schrank, griff in eine Schale und zog eine Schublade auf. In der Wohnzimmerbeleuchtung sahen seine Tätowierungen wie ein hautenger Rollkragenpullover aus. Mit drei Fünf-Mark-Scheinen kam er auf mich zu. Das war mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte.
19
    Marco war am Telefon. Ich hatte schon befürchtet, dass er irgendwann anrufen würde.
    »Was ist los? Ich habe dich ziemlich lange nicht gesehen.«
    »Tut mit leid«, sagte ich, »ich hatte total viel zu tun. Winter ist nun mal die Zeit, in der ein Taxifahrer am meisten verdient. Ich hab doch so viele Schulden. Da kann ich nicht ständig freimachen. Ich hätte dich aber schon noch angerufen.«
    »In drei Wochen, oder wann?«
    »Ich wollte mich längst melden, aber ich war krank, ich hatte ganz hohes Fieber – dauernd war was.«
    »Das ist mir zu doof. Hast du mich über? War’s das jetzt? Sag mir einfach, wie es mit uns weitergeht!«
    Ich sah Marcos gequälten kleinen Körper vor mir, die kurzen, etwas krummen Beine, seine flossenartigen Arme, die Packung Schmerztabletten, die das letzte Mal neben seinem Bett gelegen hatte. Ich dachte an Majewski, an seine muskulösen Unterarme, seine strotzende Gesundheit, daran, wie er das Paddel über den Kopf gehalten hatte, als er sich die Stromschnellen herunterstürzte.
    »Für die nächste Zeit kann ich jetzt noch nichts abmachen. Ich habe gerade wahnsinnig viel an den Hacken.«
    »Okay, ich hab verstanden. Dann komm aber bitte auch dann nicht, wenn’s dir mal wieder passt.«
    »Tut mir leid«, sagte ich, »im Moment ist es mir einfach gerade alles zu viel. Vielleicht hast du recht und wir lassen es besser ganz.«
    »Lass dich ja nicht wieder blicken«, sagte Marco und legte auf.
20
    Auf dem Weg zur Firma verlor das Fahrrad schon wieder Luft. Ich musste unterwegs zweimal aufpumpen. Als ich bei Mergolan ankam, waren alle Taxen bereits vergeben.
    »Aber der Zwovierfünf ist noch in der Werkstatt. Frag mal Nusske, wann der fertig ist«, sagte Udo-Dreidoppelsieben.
    In der Werkstatt roch es angenehm nach verglühten Metallspänen und den Ölflecken auf dem Boden. Der Zwovierfünf schwebte auf einer Hebebühne. Nusske stand darunter, hatte

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