Taxi
herunter und lehnte den Kopf gegen den Türrahmen. Kalte Luft strömte an meinem Gesicht vorbei.
»Nach Barmbek. Nu’ fahr los, hast eh schon zu viel auf der Uhr.«
Ihr fehlte der rechte Eckzahn. Den Zahn dahinter gab es auch nicht mehr. Ich setzte den Blinker und reihte mich wieder in den Verkehr ein. Hinter der Außenalster endete der Tag in wässrigem Rosa.
»Wo denn in Barmbek? Soll ich die Fuhlsbüttler hoch?«
»Fahr bloß nicht die Fuhle. Ich weiß schon, wie ich nach Barmbek komm. Ich fahr da jeden Tag hin.«
Im Rückspiegel sah ich, wie sie sich ihre Handtasche auf den Schoß stellte und darin herumwühlte, bis sie eine Packung Zigaretten fand. Sie steckte sich eine zwischen die dicken gespitzten Lippen. Ich hasste es, wenn die Fahrgäste rauchten. Da fast alle Fahrgäste rauchten, machte das mein Leben nicht gerade leichter. Die dicke Frau saugte gierig am Filter, füllte ihre ruß- und schleimverkleisterten Lungen. Dann ließ sie den Qualm genießerisch durch ihre großen schwarzen Nasenlöcher wieder ausströmen. Er schwebte zu mir herüber. Unendlich langsam bewegte er sich auf den Fensterspalt zu. Ich hielt wieder den Atem an. Ich wollte das nicht in mir haben, was eben noch in dieser Frau gewesen war. Aber als der Qualm genau an meinem Gesicht vorbeikam und in meinen Augen kratzte, konnte ich es nicht länger aushalten, schnappte nach Luft, und er schlüpfte wie ein Flaschengeist in meinen Mund. Wenigstens nahm ich jetzt den Gestank nicht mehr so deutlich wahr.
»Fahr ja keinen Umweg. Ich fahr jeden Tag nach Barmbek. Ich bin nämlich Stammkunde bei euch.«
Sie hatte mir immer noch nicht gesagt, wo sie eigentlich genau hin wollte, also fuhr ich erst mal die Bramfelder hoch. Als wir an dem Versicherungsgebäude der Techniker Krankenkasse vorbeikamen, plärrte sie los.
»Wo fährst du denn jetzt hin? Hier rechts rum, Mensch, hier rechts!«
»Vielleicht sagen Sie endlich mal, in welche Straße Sie wollen.«
»Dohlenweg. Dohlenweg einundzwanzig«, schrie sie mich aus vollem Hals an.
»Aber der Dohlenweg liegt nicht in Barmbek – der Dohlenweg liegt in Dulsberg«, schrie ich zurück.
»Ich weiß, wo ich wohne. Ich bin seit acht Jahren Stammkunde beim Autoruf.«
»Na und«, sagte ich, »das hier ist ein Taxi vom Wandsbeker Funk.«
Das stopfte ihr vorläufig den Mund. Während ich wendete, gelang es mir, unauffällig den Stadtplan herauszuziehen. Inzwischen war es schon so dunkel, dass ich die Straßennamen kaum noch lesen konnte. Ich wusste aber so ungefähr, wo der Dohlenweg war. Fünf Minuten später hielt ich vor einem Wohnblock aus dunklem Backstein. Ein vergitterter Torbogen führte in einen Hinterhof.
»Warte mal. Ich muss erst das Portemonnaie aus der Wohnung holen.«
»Können Sie mir etwas zur Sicherheit dalassen«, sagte ich, »vielleicht die Handtasche?«
»Wieso das denn«, keifte sie sofort los. »Ich bin Stammkundin. Ich fahr seit acht Jahren mit dem Autoruf. Ich hab noch nie eine Sicherheit dalassen müssen.«
Schließlich gab sie mir die Tasche, aber nicht, ohne sich vorher die Zigaretten herauszunehmen. Die Handtasche war zerschlissen und unglaublich dreckig. Ich öffnete sie, während die dicke Frau die Tür im Torgitter aufschloss. Selbst die Tasche stank. Sie war bis oben hin mit zerknüllten Papiertaschentüchern gefüllt. Außerdem waren noch eine Packung Streichhölzer, ein Flaschenöffner und zwei Hände voll Sand darin. Mir war klar, dass sie deswegen nicht zurückkommen würde. Ich stieg aus und schloss das Taxi ab. Die dicke Frau ging schneller und verschwand in der Dunkelheit des Hinterhofs. Ich lief hinterher. Das Gitter stand immer noch offen. Als ich den Hof erreichte, sah ich erst wie riesig er war. Groß wie ein Fußballfeld. Eine Grünanlage mit Rasenflächen, Büschen und hohen Bäumen, rundherum von Häuserwänden eingefasst. Es war stockduster. Von der dicken Frau war nichts zu sehen. Wenn ich Pech hatte, war sie bereits in einem der beleuchteten Hauseingänge verschwunden.
»Hallo«, rief ich. Dann drehte ich mich um und ging mit lauten Schritten wieder Richtung Taxi. Ich knallte die Stiefelsohlen richtig aufs Pflaster. Als ich aus dem Torbogen heraus war, kehrte ich um und schlich eng an die Mauer gepresst wieder zurück. Ich wartete eine Weile, dann sah ich, wie die dicke Frau sich aus einem Gestrüpp herausarbeitete. Als sie auf einen Hauseingang zusteuerte, stieß ich mich von der Mauer ab und holte sie ein. Sie sah mich gereizt an. Ihre Haare und
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