Taxi
Bauch, sein Körper schob sich wie ein Sargdeckel über mich.
»Schade«, sagte er in Höhe meines Bauchnabels, »aber ich muss jetzt zum Verlag.«
Ich stemmte die Hände gegen seine Rippen.
»Das geht jetzt nicht mehr«, sagte ich, »du kannst jetzt nicht weggehen.«
»Doch, doch, ich muss ganz dringend zum Verlag.«
Er kicherte, schob mir beim Aufstehen die Handkante zwischen die Beine und griff mit der anderen Hand schon nach seinem Hemd. Ich erwischte ihn an seiner Gürtelschlaufe, zog ihn wieder zu mir herunter, küsste ihn und legte meine Handfläche auf den Reißverschluss seiner Hose.
»Oh«, sagte er, »oh«, und begann, seine Hose auszuziehen.
»Siehst du«, sagte ich und schob ihn weg, »so fühlt sich das an. Jetzt geh doch zu deinem Verlag.«
Majewski stand auf, zog den Reißverschluss wieder hoch und ging lächelnd aus der Tür.
27
Die Nacht fing vielversprechend an. Es stürmte. Und gleich bei der ersten Tour stieg ein Mann in Anzug und Krawatte ein, der vom Großneumarkt zum Flughafen wollte. Eine Fünfunddreißig-Mark-Tour, das Trinkgeld eingerechnet. Nur hätte ich nicht den Weg über den Enckeplatz nehmen sollen. Dann hätten wir den Obdachlosen auch nicht gesehen. Er lag auf dem Fußweg, auf dem Bauch. Sein Mantel lag ein paar Meter neben ihm und bauschte sich, wenn eine Windböe ihn anhob. Ich wollte schnell vorbeifahren, aber mein Fahrgast hatte den Mann schon entdeckt.
»Da liegt jemand. Sie müssen einen Rettungswagen rufen.«
Ich trat auf die Bremse, ließ das Taxi aber langsam weiterrollen.
»Ich dachte, Sie wollen zum Flughafen«, sagte ich. »Der liegt hier öfter. Und wenn ich jetzt über Funk einen Rettungswagen bestelle, bin ich verpflichtet, hier zu warten, bis der Rettungswagen da ist.«
»Sie können nicht einfach weiterfahren. Das ist unterlassene Hilfeleistung. Rufen Sie sofort einen Notarzt.«
Er war richtig empört. Da war jemand in Lebensgefahr, und die Taxifahrerin dachte bloß an ihre Flughafentour. Nur gut, dass ein kultivierter, mitfühlender Mensch wie er mit im Wagen saß. Seufzend hielt ich an und legte meine Hand auf die Funkgabel.
»Zwodoppelvier.«
»Ja, Zwodoppelvier. Was gibt’s denn?«
» Hilflose Person am Enckeplatz. Kurz vor der Ampel, Ecke Holstenwall.«
»Danke Zwodoppelvier. Wir sagen Bescheid.«
» Danke Zwodoppelvier.«
»Zwodoppelvier, Sie wissen, dass Sie vor Ort warten müssen, bis die Rettungskräfte eingetroffen sind?«
»Ja, weiß ich. Danke Zwodoppelvier.«
Ich parkte das Taxi am Straßenrand und stellte den Motor aus. Die Scheinwerfer ließ ich an. Ich betrachtete das Bündel Mensch, das vor mir im Licht lag. Ein Stück Zeitung flog vorbei. Mein Fahrgast stieg auch nicht aus. So weit ging sein Verantwortungsgefühl dann doch wieder nicht. Wir warteten fünf Minuten, acht, zehn. Keiner sagte etwas. Der Mantel flappte im Wind nach links und dann wieder nach rechts. Die Zeit schleppte sich endlos dahin. Inzwischen hatte ich schon neun Mark auf dem Taxameter. Ich stellte ihn aus. Ich wusste, wie es kommen würde. Mein Fahrgast räusperte sich.
»Der Mann kann doch erfrieren«, sagte er.
Ich bezweifelte das, obwohl schwer zu sagen war, wie lange er dort schon so lag. Wenn es kälter gewesen wäre, hätte man nachschauen können, ob der Raureif um ihn herum geschmolzen war. Aber es war gar nicht besonders kalt. Mindestens drei Grad plus. Vermutlich hätte der Mann auf dem Fußweg es noch ganz gemütlich drei oder vier Stunden ausgehalten, bis ein Taxifahrer vorbeigekommen wäre, der gerade keine Tour zum Flughafen gehabt hätte. Oder ein Polizeiwagen. Hier kamen oft Polizeiwagen vorbei.
Jetzt warteten wir schon eine viertel Stunde.
»Ich muss meinen Flug bekommen«, sagte der Geschäftsmann. Ich nickte und legte meine Hand auf die Funkgabel.
»Zwodoppelvier … Bitte ein Taxi zur Fahrgastübernahme in den Enckeplatz.«
Natürlich gab er mir kein Geld. Er stieg einfach aus und setzte sich in ein anderes Taxi, und damit war die Sache für ihn erledigt. Wahrscheinlich kam er sich auch noch großartig vor, weil er jemanden vor dem Erfrieren gerettet hatte. Ich trommelte mit den Fingern auf mein Lenkrad und wartete weiter auf den Rettungswagen.
28
Gegen zwölf kam ich in meine Wohnung zurück. Dort saß Dietrich vor dem Fernseher, schaltete sich durch die Programme und aß Kartoffelsalat aus der Originalverpackung.
»Arbeitest du heute gar nicht?«, fragte ich. Seit Dietrich bei Mergolan gekündigt und den Funk gewechselt hatte,
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