Taxi
war er fast jede Nacht Taxi gefahren. Er benahm sich, als wäre er schon immer beim Hansa-Funk gewesen. Ständig fragte er mich, wann ich endlich wechseln würde. Ich war mir nicht sicher, ob Dietrich bereits mitgekriegt hatte, was zwischen mir und Majewski lief. Zu übersehen war es ja eigentlich nicht.
Wie ein geprügelter Bernhardiner hockte er da vor meinem Fernseher. Ich fühlte die eigene Schlechtigkeit und Nichtswürdigkeit bis in die Fingerspitzen. In letzter Zeit träumte ich ständig davon, dass ich etwas angestellt hatte und dabei erwischt wurde. Entweder erwischte mich jemand beim Stehlen im Supermarkt oder dabei, wie ich mitten in einem Kaufhaus hinter den Kleiderständern auf den Boden pinkelte.
»Ist was?«, fragte ich.
»Nichts. Wieso?«
Vielleicht war er auch einfach bloß sauer, weil diese Hälfte des Hauses immer noch nicht verkabelt war und er sich mit fünf Programmen begnügen musste. Die Nachbarn, die in der rechten Hälfte wohnten, hatten schon seit Wochen Kabel.
»Nur so«, sagte ich und fing an, Dinge aufzuheben, die auf dem Fußboden lagen, eine Unterhose, eine alte Zeitung. Ich wollte Dietrich Gelegenheit geben, aufzustehen und zu gehen. Jedes Mal, wenn der Fernseher das Programm wechselte, gab er ein kurzes, scharfes Rauschen von sich – als würde man ein Stück Papier zerreißen. Ratsch – Stimmen – ratsch – Musik – ratsch – Motorenlärm – ratsch – Applaus.
»Du siehst in letzter Zeit viel besser aus«, sagte Dietrich, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Gut, dass du dir endlich wieder die Haare wäschst. Eine Zeit lang hast du dich ganz schön gehenlassen. Übrigens war vorhin Majewski mit seiner Freundin bei mir. Er hat sich meine Fotos angesehen. Du hättest ihn hören sollen: Daaas ist toll! Ach, ich wünschte, ich hätte solche Fotos gemacht .«
»Vielleicht findet er sie ja wirklich gut?«
»Äh, das ist seine Masche. Damit will er sich einschleimen. Außerdem brauche ich nicht ihn, um zu wissen, dass ich fotografieren kann.«
Hau ab, dachte ich, hau endlich ab. Aber Dietrich blieb wie angeklebt vor dem Fernseher sitzen. Kartoffelsalat und Gabel hatte er inzwischen zur Seite gestellt. Ich räumte weiter auf.
Und dann kam Majewski herein. Natürlich wieder ohne zu klingeln. Dietrich schien es nicht aufzufallen. Jedenfalls ließ er sich nichts anmerken. Mir klopfte das Herz bis zum Hals. Majewski trug eine Mappe unter dem Arm und quatschte sofort los.
»He, ihr seid noch wach? Ich wollte euch ein paar Fotos zeigen. Würde mich interessieren, was ihr davon haltet.« Er öffnete die Mappe und legte sechs großformatige Schwarzweißbilder auf den Boden.
»Das ist Marlene. Meine große Liebe. Sie handelt mit Aktien und verdient unheimlich viel Geld. Da macht man sich gar keine Vorstellung davon, wie viel Geld die verdient. Ich bin schon seit Jahren hinter ihr her, aber sie will immer nicht.«
Die Börsenmaklerin war wirklich sehr schön. Sie hatte kurze dunkle Haare, ein trauriges Gesicht mit großen Augen und den perfekten Körper eines Fotomodells. Majewski hatte sie nackt fotografiert. Ich fand es seltsam, dass er uns diese Fotos zeigte.
»Sie hat den schönsten Busen, den ich jemals gesehen habe«, sagte Majewski. »Aber sie hat ein verspanntes Verhältnis zu ihrem Körper. Ich würde ihr gern helfen.«
Dietrich und ich betrachteten Marlenes perfekten Busen.
»Sie hat Brustkrebs«, sagte Majewski unvermittelt, und dann packte er seine Fotos wieder ein und wünschte uns eine gute Nacht.
»Der hat vielleicht ’nen Hackenschuss«, sagte Dietrich, als Majewski gegangen war, »aber richtig.«
Ich nickte. Dietrich schaltete erneut die Fernsehprogramme rauf und runter. Ratsch – Musik – ratsch – noch mal Musik – ratsch – Stimmen.
»Du musst den Fernseher jetzt ausmachen«, sagte ich. »Ich will jetzt schlafen.«
Dietrich sprang auf. Er sah mich wütend und verletzt an.
»Niemand – niemand behandelt mich so wie du. Du behandelst mich wie den letzten Dreck.«
Er ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu. Jetzt hätte ich endlich schlafen können, aber stattdessen setzte ich mich vor den Fernseher und schaltete selbst durch die Programme.
29
Neuerdings bekam ich nicht nur Post von Lotteriegesellschaften, sondern auch noch vom World Wildlife Fund.
»Sehr geehrte Frau Herwig,
die Flachlandgorillas im Kongo brauchen Ihre Spende!«
Urwaldrodungen, Wilderer, bürgerkriegsähnliche Zustände – es sah nicht gut aus für die
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