Taylor Jackson 02 - Der Schneewittchenmörder
sollen, aber für den Moment ließ sie es auf sich beruhen. Dennoch ging sie sicher, Evanson ab und zu einen Hauch dessen, was möglich wäre, erahnen zu lassen.
Auf der anderen Seite der Tür hörte sie die in Wut und Frust erhobene Stimme ihres Chefs, aber davon ließ sie sich nicht stören. Sie hatte ein Händchen dafür, selbst die aufgeladensten Situationen zu entschärfen. Nach einem Blick auf die Uhr gab sie ihm weitere dreißig Sekunden, um sich auszutoben, dann richtete sie ihr dunkelbraunes Haar und klopfte einmal hart an die Tür. Sie öffnete sie und betrat das Büro ihres Chefs.
„Es ist mir scheißegal, was der Präsident sagt. Es wird so gemacht und nicht anders.“ Er knallte den Hörer auf die Gabel und schaute dann Charlotte an, die ganz ruhig im Türrahmen stand. Jeden anderen Agent hätte er alleine für die Dreistigkeit, an seine Tür zu klopfen, während er mit dem Weißen Haus telefonierte, gefeuert. Er hatte einen aufbrausenden Charakter und war für seine Wutanfälle bekannt. Aber mit Charlotte, das war eine andere Geschichte, und das wusste sie.
Beim Eintreten reichte sie ihm die Akte, die mit dem roten Stempel für höchste Wichtigkeit markiert war.
„Wir haben eine Unregelmäßigkeit.“
„Charlotte, könnten Sie vielleicht erst einmal Guten Tag sagen? Fragen, wie es bei mir so läuft?“
Stuart Evanson lehnte sich in seinem Stuhl zurück, wobei er die Ecken seines Nadelstreifenanzugs zerknitterte. Warum er nie sein Sakko auszog war Charlotte ein Rätsel. Vielleicht dachte er, dass er professioneller aussah, wenn er immer komplett angezogen war, aber sie vermutete eher, dass er Schweißflecken verbergen wollte, und war ihm dafür sehr dankbar. Es gab nichts, was sie mehr anwiderte.
„Sir, soweit ich sagen kann, läuft Ihr Tag nicht sonderlich gut.“
„Unverschämtheiten bringen Sie nicht weiter, meine Liebe.“
„Danke, Sir. Ich versuche im Moment auch gar nicht, weiterzukommen. Ich bin nur hier, um Ihnen eine auffällige Anomalie zur Kenntnis zu bringen.“
„Die da wäre?“
„Wenn Sie sich die Akte anschauen würden, Sir, würde es Ihnen glaube ich schnell ersichtlich.“
Evans schenkte ihr einen undeutbaren Blick und klappte die Akte auf. Charlotte beobachtete, wie sich seine buschigen Augenbrauen erst zusammenzogen und dann bis unter den Haaransatz nach oben hoben. Hab ich doch gesagt, dachte sie.
„Ist das sicher?“, fragte Evanson.
„Ja. Die Polizei von Nashville hat diese Information noch nicht vorliegen.“
Evanson war offensichtlich in einer ernsthaft schlechten Stimmung. Er entließ Charlotte ohne weitere Höflichkeitsfloskeln und hatte bereits sein Telefon in der Hand. „Kümmern Sie sich drum. Erstatten Sie mir Bericht, sobald Sie mehr dazu haben. Bringen Sie die Teams sofort auf den neuesten Stand.“
„Ja, Sir. Wird Dr. …“ Sie hielt inne, weil sie sich der Antwort sicher war. Es wäre nicht gut, zu gespannt zu wirken. Es machte das Gerücht die Runde, dass John Baldwin der Nashville Police im Fall des Schneewittchenmörders half und sein Außenbüro hinter den Kulissen bereits unglaublich aktiv war. Auf irgendeine Art hatte er diesen Fall schon immer gehabt. Von ihr würde verlangt werden, direkt mit ihm zusammenzuarbeiten, genau wie sie es wollte.
„Vergessen Sie meine Rede, Sir. Ich melde mich wieder.“ Evanson gab nur ein Grunzen von sich, er hatte sie bereits ausgeblendet. Charlotte drehte sich um und verließ das Allerheiligste. Verdammt noch mal, was hatte sie sich nur gedacht? Das war die Art von Sorglosigkeit, die sie nur verletzten würde. Wieder einmal.
Zurück an ihrem Schreibtisch, rief sie die Nashville-Akte auf.
Während Charlotte anfing, zu arbeiten, erfüllte sie das befriedigende Gefühl, dass sie kurz davorstand, eine sehr glückliche Frau zu sein. Mochte man es Instinkt, Vorahnung oder was auch immer nennen. Sie hatte den Lauf der Dinge so nicht geplant, aber vielleicht war das auch gut so. Das hier war groß genug, um sich die ungeteilte Aufmerksamkeit von Dr. John Baldwin zu sichern. Ihn den Klauen der kleinen Löwin zu entreißen, in die er sich begeben hatte.
Wenn sie ihre Karten richtig spielte, würde er zu ihr zurückkommen. Sie rang einen Augenblick mit sich selbst. Entschied dann, dass es früher oder später sowieso dazu kommen würde. Sie wählte die Vorwahl 615, tippte dann die restlichen Nummern ein und kaute gedankenverloren auf ihrem Stift. Ihr Moment war gekommen.
8. KAPITEL
Nashville,
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