Taylor Jackson 02 - Der Schneewittchenmörder
da sah, konnte nicht stimmen. Es musste ein Fehler im System sein. Einen kalten Treffer in CODIS zu haben kam nicht alle Tage vor. Mehr Dateien tauchten auf dem Bildschirm auf. Charlotte klopfte mit den Fingern auf den Tisch, während immer mehr Symbole aufleuchteten wie Weihnachtsbäume. Treffer. Treffer. Treffer. Treffer. CODIS zeigte vier separate Treffer aus vier Staaten, keiner davon Tennessee. Alle DNA-Proben deuteten auf einen einzigen Spender hin.
Charlotte fluchte.
Sie rief den Webmaster an und sagte ihm, dass es ein Problem gäbe. Er rief fünf Minuten später zurück und versicherte ihr, dass alles seine Richtigkeit hatte. Zumindest was seinen Einflussbereich betraf.
In diesem Augenblick fing das leichte Kribbeln an. Ganz unten an ihrer Wirbelsäule. Die Datenbank war programmiert worden, Muster auszuspucken, und das war genau das, was Charlotte vor sich sah. Sie hatte diese Sektion der Datenbank selber entworfen, und nun war sie da. Die Anomalie. Trotz all ihrer Bemühungen hatte sie nun keine andere Wahl mehr.
Ihre Gedanken überschlugen sich. Sie zwang sich, CODIS zu schließen. Dann öffnete sie eine Datei, die tief in ihrem eigenen Ablagesystem verborgen war, und gab ein neues Passwort ein. Eine private Personalakte, die Charlotte sich vor ein paar Monaten unter der Hand besorgt hatte, öffnete sich.
Da war sie. Taylor Jackson. Charlotte starrte auf das Bild, das klar und deutlich vor ihr auf dem Bildschirm zu sehen war. Blonde Haare, etwas über schulterlang, graue Augen, ein sinnlicher Mund, eine leichte gebogene, dennoch elegante Nase – atemberaubend, aber Charlotte wusste, dass sie mithalten konnte.
Sie ging in Gedanken ihre eigenen Vorzüge durch. Ihre Haare wurden oft als „von der Farbe eines jungen Pinot Noir“ beschrieben. Porzellanteint, bernsteinfarbene Augen, eindrucksvolle Wangenknochen, und wenn sie sich nicht irrte, war ihre Unterlippe ein kleines bisschen voller als die von Jackson. Sie musste zugeben, dass das Mädchen attraktiv war. Gut zu wissen, dass Baldwin immer noch einen ausgezeichneten Geschmack hatte.
Die strahlend grünen Augen ihres ehemaligen Vorgesetzten füllten ihre Erinnerung. Widerwillig schob sie alle Gedanken an ihn zur Seite. Sie konnte sich für Stunden in den Erinnerungen an ihre kurze gemeinsame Zeit verlieren. Und doch würden sie alle nur zu dieser kleinen Schlampe zurückführen, der Frau, die ihn direkt aus Charlottes Händen gestohlen hatte.
Sie blieb noch einen Moment vor dem Bild sitzen, berührte mit dem Zeigefinger den Monitor, zog die Linie von Jacksons herzförmigem Gesicht nach. Ihr Finger berührte die Lippen, dann zwang sie sich, das Fenster zu schließen, sodass der vorherige Bildschirm wieder erschien.
Jackson war vergessen. Die neuen DNA-Profile reichten, dass sie sich voller Vorfreude die Lippen leckte. Sie liebte Herausforderungen. Was sollte sie tun? Was sollte sie nur tun? Der Treffer in CODIS war höchst unerwartet gekommen, und unglücklicherweise konnte er nicht zurückgehalten werden. Sie würde diese Information mitteilen müssen; die anderen würden es sowieso früh genug selber bemerken.
Sie öffnete die neuesten Tatortfotos, die das Nashville Police Department über Nacht zur Verfügung gestellt hatte. Der frische Mord. Das Foto bezeichnete das Opfer als Giselle St. Claire. Was für ein zarter Name, dachte sie. Armes Mädchen. Giselle war nackt und vor Kälte ganz blau. Sie zeigte Anzeichen von Verbluten: ein Verdacht, den die klaffende Halswunde bestätigte. Ein zweites Lächeln. Das Blut hatte sich unter ihrem Kopf gesammelt und rahmte die Szene mit einem makaberen roten Passepartout ein.
Charlotte öffnete eine andere Datei. Nackte Körper purzelten über ihren Monitor.
Die Medien hatten den Mörder gut getauft. Jedes Mal wenn sie diese Bilder sah, kam Charlotte als Erstes Schneewittchen in den Sinn. Zarte Schönheit, alabasterfarbene Haut, rote Lippen, tiefschwarzes Haar. Es fehlten nur der rote Umhang und die Zwerge.
Wenn man sie nur flüchtig betrachtete, konnte man glauben, all diese Fotos zeigten dasselbe tote Mädchen. Nur eine genaue Untersuchung ließ die feinen Unterschiede sichtbar werden: Größe, Gewicht, Haarlänge. Die Ähnlichkeit der Opfer war geradezu gruselig. Sie öffnete zwei weitere Fenster und grübelte einen Moment. Die Opfer glichen sich in physischer Hinsicht so sehr – man musste viel Zeit aufwenden, um sich so ähnlich sehende Frauen herauszusuchen. Vor ein paar Jahren hatte sie einen
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