Taylor Jackson 02 - Der Schneewittchenmörder
Rückenlehne der Couch. Es wie eine Schmusedecke hinter sich herziehend, schlurfte sie mit dem Telefon in die Küche. Dort setzte sie sich an den Tisch und zog das Plaid enger um ihre Beine. Es war kalt geworden; das Feuer im Kamin war beinahe erloschen.
„Tut mir leid, Mr. Richardson. Sie haben mich unvorbereitet getroffen.“
„Nein, nein, ich bin derjenige, dem es leidtut. Ich wollte Sie nicht wecken. Ich wusste allerdings nicht, dass Polizisten überhaupt jemals schlafen.“
„Ja, wir sind eigentlich Vampire.“
Er lachte. „Ernsthaft, ich hatte das Gefühl, Sie wollten mich so schnell wie möglich sprechen. Ich kann nicht glauben, dass das alles wieder hochkommt. Und bitte, nennen Sie mich doch Frank.“
„Mit der Meinung stehst du nicht alleine da, Frank.“ Sie griff hinter sich und holte sich den gelben Block vom Telefontischchen. Mit dem Handrücken unterdrückte sie ein Gähnen.
„Ich bin bereit. Schieß los.“
Sie schoss eine Kugel nach der nächsten und versuchte, die unglaubliche Menge an Informationen zu sortieren, die sie von Frank Richardson erhalten hatte.
Er hatte von dem Siegelring gewusst.
Er hatte von den ausgerissenen Haarbüscheln gewusst.
Er hatte eine Theorie über den Mörder – darüber, warum er aufgehört hatte –, die unglaublich vernünftig und glaubwürdig klang.
Er hatte seine eigenen Überlegungen darüber angestellt, wer der Mörder sein könnte. Die meisten glichen denen, die auch von der Mordkommission durchgespielt worden waren. Sie reichten von einem Lehrer an einer der Mädchenschulen zu einem Sexualstraftäter, der im Gefängnis umgebracht worden war. Alle diese Theorien waren überprüft und ausgeschlossen worden.
Aber es war ein Wort, das er benutzt hatte, eine nebensächliche Bemerkung, die Taylor immer wieder in den Kopf kam. In dem Moment wo sie den Ausdruck gehört hatte, wusste sie, dass sie in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden würde. Frank hatte nicht einmal über den Fall gesprochen, er erzählte nur von einer Begebenheit in Caprese, der Heimatstadt des Malers und Bildhauers Michelangelo Buonarroti. Frank und seine Frau waren die eng gewundenen Straßen entlanggegangen, und ihr Reiseführer hatte von einem Florentiner Maler namens Domenico Ghirlandaio erzählt, der mit dem jungen Michelangelo gearbeitet hatte, bevor der sich der Bildhauerei zuwandte und schließlich ein Günstling Lorenzo de’ Medicis wurde. Michelangelo wurde weltbekannt, aber eine gewisse Zeit lang war auch er nur ein Lehrling, der das Handwerk lernte und dessen natürliche Talente von den großen Männern um ihn herum geschliffen wurden.
Er war ein Lehrling gewesen.
9. KAPITEL
Nashville, Tennessee
Dienstag, 16. Dezember
22:30 Uhr
„Möchtest du noch ein Corona, Jane?“
Jane Macias warf einen Blick auf die klare Glasflasche mit dem Limonenschnitz im Hals. Mehr als ein halber Schluck war nicht mehr drin. „Ja, gerne, Jerry.“
„Kein Problem, Kleine.“
Der Barkeeper ging zu der Kühltruhe zu seiner Rechten, steckte seine Hand ins Eis und zog eine weitere Flasche Bier heraus. Er entfernte den Kronkorken und stellte die Flasche vor Jane hin. Dann schob er einen kleinen Limonenschnitz in den Flaschenhals.
„Voilà.“
„Wer hätte gedacht, dass du so sprachgewandt bist, Jerry? Danke.“ Sie schenkte dem älteren Mann ein warmes Lächeln. Er war nett zu ihr gewesen. Hatte weder neugierig gefragt, noch versucht, sie anzumachen. Er hatte ihr nur ihr Bier gebracht und sie alleine gelassen: also genau das, was sie jetzt wollte.
Jane wandte sich wieder ihrem Buch zu. Alleine in einer Bar zu sitzen und zu lesen hatte etwas Erschreckendes, aber sie brauchte die Pause, und heute Abend gab es das Bier zum halben Preis. Der riesige, Football spielende Freund ihrer Mitbewohnerin war heute Abend bei ihnen – er saß bei den Tennessee Titans auf der Bank, und Jane wusste, dass sie in ihrem kleinen Apartment heute Nacht keine Ruhe finden würde.
In letzter Zeit war sie immer öfter in die Bar neben dem VIBE Stripclub geschlüpft. Das Control , wie die Bar hieß, war normalerweise recht leer, und irgendwie hatte die Atmosphäre etwas Gemütliches an sich. Okay, nebenan dröhnten die Bässe, und die Lichter flackerten im Takt der nicht besonders hübschen Mädchen, die sich auf kleinen Plexiglasbühnen um Stangen wanden, aber hey, es könnte schlimmer sein. Sie könnte eine von ihnen sein. Stattdessen saß Jane im Halbdunkel der anonymen Bar nebenan und genoss die Wärme
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