Taylor Jackson 03 - Judasmord
beim FBI. Er ist …“
„Ja?“
„Er steckt gerade mitten in einer Ermittlung und hält gewisse Aspekte des Falles vor mir geheim. Er will mich beschützen, aber ich brauche keinen Schutz.“ Halt sofort den Mund, Taylor, dachte sie. Die Frau war wirklich gut.
Taylor fuhr fort: „Aber das ist im Moment überhaupt nicht relevant, Doctor. Es hat nichts mit Corinne Wolff zu tun.“
„Oh, aber genau da liegen Sie so falsch. Corinne hat auch unter der Fehleinschätzung gelitten, ihr Leben komplett unter Kontrolle zu haben. Zu glauben, die Entscheidungen, die sie traf, wären ihre ureigenen Entscheidungen gewesen. Dass sie sich geschmacklosem Verhalten hingegeben hatte, weil sie dachte, sie hätte es so gewollt. Aber in Wahrheit gibt es in jeder Frau einen Teil, der geschätzt und beschützt werden will, statt multiplen Sexualpartnern ausgeliefert zu sein. Und schon gar nicht, wenn die intimsten Momente an den Höchstbietenden verkauft werden.“
Taylor schaute Ricard an. Hinter der Brille, der Maske kühler Beherrschtheit, sah Taylor eine gerissene Frau. Taylor achtete darauf, dass ihre eigene Miene nichts außer beruflichem Interesse für Corinne Wolff verriet.
„Meinen Sie damit, dass Corinne ein Opfer ist?“
„Auf gewisse Art, ja. Corinne weilt unglücklicherweise nicht mehr unter uns, um uns zu erzählen, wie missbraucht sie sich durch die Neigungen ihres Mannes gefühlt hat. Sie, andererseits, haben die Chance, sich gegen die gegen Sie erhobenen Anschuldigungen zur Wehr zu setzen, weil Sie tief in Ihrem Herzen wissen, dass Sie nichts falsch gemacht haben. Ich glaube, Corinne besaß diese Stärke nicht. Sie war leicht zu beeinflussen. Anstatt zu kämpfen, hat sie sich stumm ergeben und zugelassen, benutzt zu werden.“
„Ich bin kein Opfer, Dr. Ricard. Darin unterscheide ich mich von Corinne. Ich würde es auch sehr zu schätzen wissen, wenn Sie diese Unterhaltung auf Corinne beschränkt halten könnten. Wurde sie von ihrem Ehemann benutzt?“
Ricard schaute einen Moment lang amüsiert aus, dann nickte sie. „Corinne wurde von vielen Menschen benutzt. Ehemann, Familie, Geschwister, Liebhaber. Sie werden noch früh genug auf die Wahrheit stoßen, Lieutenant. Lassen Sie uns einen Moment lang über die Furcht sprechen, die eine junge Mutter empfindet, wenn sie sich in einer Situation wie Corinne Wolff befindet.“
„Okay.“
„Denken Sie an die Schwierigkeiten, die es bedeutet, ein ausgesprochen talentiertes Kind zu haben. Eine vollkommen kontrollierte Existenz, eine Welt, die ganz um das Genie des Kindes herum strukturiert wird. Stete Arbeit, Aufmerksamkeit, Bewunderung und Erwartung. Bis dieses Kind eines Tages erwacht – sowohl im übertragenen als auchim wörtlichen Sinne – und beschließt, kein Wunderkind mehr sein zu wollen. Es will nicht mehr so hart arbeiten, um sein Leben zu leben. Es sieht, wie die Menschen um es herum den einfachen Weg wählen, an den Wochenenden lange schlafen, viel Zeit haben, um sich zu verabreden und Hausaufgaben zu machen. Das ist das Leben, das dieses Kind auch haben will. Jemand, der so getrieben ist, wird dieses einfache Leben vermutlich mit der gleichen Verbissenheit betreiben, die es zu einer so ausgezeichneten Sportlerin gemacht hat.“
„Corinnes Mutter hat erwähnt, dass ihre Liebe zum Tennis verschwand, als sie in die Highschool kam“, warf Taylor ein. Als Ricard dazu nichts sagte, hakte sie nach: „Würden Kleinigkeiten, die für Sie oder mich nicht wichtig wären, eine solche Person aus der Bahn werfen?“
„Sicher. Jemand, der sich so unter Kontrolle hat, würde große Schwierigkeiten haben, anderen die Zügel zu überlassen. Außer es würde etwas Ungewöhnliches passieren. Etwas, das nicht rational wäre. Wie sich zu verlieben.“
Das ergab Sinn. Taylor dachte an das erste Video zurück, das sie gesehen hatte, mit Todd und den zwei Mädchen. Corinne hatte die Kamera bedient. Vielleicht hatte sie das Sexspiel genossen, vielleicht nicht, aber indem sie die Kontrolle darüber übernahm, was der Zuschauer sehen und fühlen würde, übernahm sie auch die Kontrolle über die Situation mit ihrem Ehemann. Sie führte Regie, sagte ihm, wo es langging – ganz sicher keine traditionelle Rolle.
„Gab es etwas in Corinnes Leben, das zu diesem Kontrollzwang geführt hat?“
„Ah, tut mir sehr leid, Lieutenant, aber da wir diesen Fall nur hypothetisch besprechen, kann ich Ihnen das nicht beantworten. Aber jemand mit einem so großen Wunsch nach
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