Taylor Jackson 03 - Judasmord
vierzig Minuten vor der St. Ann’s Catholic Church am Charlotte Pike zu treffen. Taylor legte auf. Noch Zeit genug.
Sie startete den Motor und nutzte eine Lücke in dem schwachen Verkehr, um eine Kehrtwende zu machen und zurück Richtung Vanderbilt zu fahren. Als sie gerade am steinernen Eingang zum Campus vorbeifuhr, klingelte ihr Telefon. Verdammt, Thalia hatte hoffentlich nicht ihre Meinung geändert. Sie schaute aufs Display. Baldwin. Sie räusperte sich und schaltete das Radio aus, damit er dächte, sie wäre in ihrem ruhigen Haus.
Dann nahm sie den Anruf mit fröhlicher Stimme entgegen. „Hey, Babe.“
„Taylor, warum bist du nicht zu Hause?“
Mann, das ging schnell. Wie hatte er es herausgefunden? Sie kämpfte mit sich. Sollte sie lügen und behaupten, sie wäre zu Hause, oder zu ihrem Ausbruch stehen? Da sie Baldwin kannte, wusste sie, dass er einen Grund hatte anzunehmen, sie wäre nicht zu Hause – entweder hatte die Wache sich verplappert, oder sie hatte stumme, unsichtbare Verfolger. Sie vermutete Letzteres, denn der Wache hatte sie die Dringlichkeit seines Schweigens ziemlich deutlich gemacht. Also konnte sie genauso gut die Wahrheit sagen.
„Ich habe es nicht ertragen, herumzusitzen und nichts zu tun. Gerade du solltest das verstehen.“
„Und gerade du solltest verstehen, in welcher Gefahr du dich befindest.“ Aber sie hörte die Resignation in seiner Stimme. Er war nur genervt, aber nicht wirklich böse auf sie. Er kannte sie, und diese Erkenntnis brachte sie zum Lächeln.
„Das tue ich. Ich nehme an, du hast jemanden, der mir folgt?“
„Du hast es nicht überprüft?“
„Wie ich schon sagte, ich nahm es an.“
„Das ist ziemlich schlampige Arbeit, Taylor. Es könnte auch Aiden sein.“
„Wenn er es wäre, hättest du mich nicht angerufen, sondern würdest bereits dein Schwert schwingen. Ich muss nicht beschützt werden, Babe.“
„Doch, das musst du mehr, als du ahnst. Aber darum geht es jetzt nicht. Was tust du gerade?“
„Äh … ich folge einer Spur.“
„Ich wünschte, du würdest mir die Sache mit den Videos überlassen. Sherry hat neue Informationen, wir sind so weit, sie uns zu schnappen.“
„Das ist toll. Aber ich folge gerade einer Spur aus dem Corinne-Wolff-Fall.“
„Taylor, muss ich dich daran erinnern …“
„Nein, musst du nicht. Ich weiß. Ich habe keine Marke. Ich habe keine Autorität. Ich werde die Ermittlungen gefährden, wenn ich mich einmische.“ Die Bitterkeit in ihrer Stimme überraschte sie. Die Wut über ihre Suspendierung brodelte näher unter der Oberfläche, als sie zugeben wollte. Verdammte Oompa!
„Okay, okay. Hör zu, wenn wir aufgelegt haben, tu mir bitte einen Gefallen. Ich werde den Jungs eine SMS schicken und ihnen sagen, dass du von ihnen weißt und sie sich nicht mehr ganz so weit zurückfallen lassen müssen. Dein Job ist es, dafür zu sorgen, dass sie an dir dranbleiben können, okay? Von dem, was ich höre, fährst du wie eine Irre.“
Taylor fuhr die Murphy Road hinauf und bog vor dem McCabe Golfplatz in nördlicher Richtung auf die 46th. Sie suchte sich ihren Weg durch Sylvan Park. Die Colorado Avenue markierte den Anfang eines Gebietes, in dem jede Straße den Namen eines anderen Staates hatte. Taylor versuchte, sich im Kopf die geografische Lage eines jeden Staates, den sie passierte, vorzustellen. Es war ein Spiel, das sie und Sam als kleine Mädchen gespielt hatten, auf ihrer Fahrt von Belle Meade durch Sylvan Park zu Bobbie’s Dairy Dip auf der Charlotte Avenue. Sie hatten Punkte vergeben – einen für das Benennen der jeweiligen Hauptstadt, einen für jeden richtig genannten Nachbarstaat. Sams Eltern mussten jedes Mal einen anderen Weg fahren, damit dieMädchen neue Herausforderungen hatten. Die Gewinnerin durfte sich als Erste ihr Eis aussuchen.
Taylor erinnerte sich an die Intensität, mit welcher sie gespielt hatten, an die Inbrunst, das Gelächter, wenn eine von ihnen falschlag. An den Triumph, wenn sie Sam ab und zu mal schlug, die mit sieben Jahren bereits eine ganze Enzyklopädie unnützen Wissens besaß. Es wäre so nett, in eine Zeit zurückzukehren, in der das Wichtigste in ihrem Leben war, sich als Erste ein Eis aussuchen zu dürfen.
Was soll’s, dachte sie. Sie bog links auf die Charlotte ab und an ihrem Ziel, der St. Ann’s, vorbei zur nächsten Straßenecke. Dort fuhr sie zum Dairy Dip, vor dem sich morgens um neun schon eine Schlange gebildet hatte. Es gab keinen falschen Zeitpunkt für
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