Taylor Jackson 03 - Judasmord
Stabilität kann eine Vergangenheit haben, in der es irgendeine Form des Missbrauchs gegeben hat – ob selbst verursacht oder von außen zugefügt. Viele junge, begabte Menschen sind so sehr mit ihrem Talent verwachsen, dass sie in Chaos stürzen, wenn man es ihnen nimmt. Das kann so etwas Simples sein wie eine Mutter, die ihrem Kind sagt, es müsse jetzt ins Bett gehen und dürfe nicht weitermalen. Sie nutzen ihr Talent zur Kontrolle, genau wie ein anorektisches Kind sein Hungern nutzt, um seinen Körper zu kontrollieren. Es ist alles eine Frage der Wahrnehmung. Wird die, wodurch auch immer, weggenommen, hätte man einKind, das nur überleben könnte, wenn es einen neuen Mechanismus zur Kontrolle von Verhalten und Wünschen entwickeln würde.“
„Sexuelle Promiskuität?“
Ein zartes Lächeln legte sich über Ricards Gesichtszüge. „Sehr gut, Lieutenant. Monogame sexuelle Promiskuität ist ein weiteres Beispiel dafür, wie geschmacklos alles Wahllose auf ein solches Kind wirken kann.“
„Aber das Kind würde erwachsen werden. Ich nehme an, dann ließe es diese Gedanken hinter sich?“
„Einige ja, andere nicht. Einige folgen ihrer Kunst, andere bauen rapide ab, sobald sie von der einen Sache getrennt werden, die ihre Identität bestimmt. Sie schrumpfen förmlich zusammen und enden in einer Anstalt oder tot. Aber das sind die wirklichen Extremfälle. Die meisten führen ein durchaus produktives, wenn auch nicht unbedingt glückliches Leben.“
„Bräuchten sie einen Katalysator? Etwas, das eine solche Person um den Verstand bringt, sie Dinge tun lässt, die sie normalerweise nicht tun würde?“
„Ja, ich denke, das könnte man so sagen. Einen Vorfall, der das Leben verändert.“ Ricard sprach sehr deutlich, und Taylor fing an zu verstehen.
„War diese Schwangerschaft ungewollt?“, fragte sie.
Ricard nickte, sagte aber: „Ich kann das weder mit Ja noch mit Nein beantworten. Corinne war eine sehr regulierte, kontrollierte Person.“
Das war also das Problem. Sie war schwanger geworden, darüber aber nicht sehr erfreut. Das war seltsam für eine junge Mutter, die allem Anschein nach glücklich war.
„Wäre eine ungeplante Schwangerschaft ein Problem für eine Frau, die alles kontrollieren muss? So schwierig, dass es ein pathologisches Verhalten auslösen könnte?“
„Nett hergeleitet, Lieutenant. In einigen extremen Fällen kann ein Individuum Schwierigkeiten haben, die Kontrolle über seinen Körper abgeben zu müssen, um ein Baby austragen zu können. Diese Person würde den Fötus vielleicht als ein fremdes Wesen empfinden und Augenblicke solchen tiefen Hasses empfinden, dass als einzige Lösung nur ein Schwangerschaftsabbruch infrage kommt. Oder die Person sucht sich professionelle Hilfe, um die klaustrophobischen Anfälle, denen sie ausgeliefert ist, besser handhaben zu können. Panikattacken,das überwältigende Bedürfnis zu fliehen, eine Trennung herbeizuführen – ja, um damit umzugehen, bedürfte es umfangreicher kognitiver Therapie, Regressionstherapie, Entspannungsmethoden und Biofeedback.“
„Sind das Probleme, die Corinne hatte? Klaustrophobische Anfälle aufgrund ihrer Schwangerschaft?“
„Jetzt kommen Sie der hypothetischen Grenze wieder zu nah, Lieutenant.“
„In Ordnung. Wie sieht es mit medikamentöser Behandlung aus?“
„Nun, im Fall einer Schwangerschaft würde man die Patientin ermutigen, keine Medikamente zur unterstützenden Behandlung zu nehmen.“
„Aber Corinne hat sich dennoch für diesen Weg entschieden. Warum?“
Ricard warf einen Blick auf die Uhr. „Oje, Lieutenant, ich fürchte, wir müssen zu einem Ende kommen.“ Sie stand auf.
„Eine letzte Frage.“ Taylor erhob sich ebenfalls. „Wäre Corinne Wolff eine Gefahr für sich gewesen?“
Ricard richtete ihre Brille und zog ihr Seidentop herunter, sodass es eng an ihrer Hüfte lag. „Vielleicht. Doch ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass sie sich selber mit der Mordwaffe erschlagen hat.“
31. KAPITEL
Taylor verließ das Büro der Therapeutin. In ihrem Kopf überschlugen sich Ideen und Theorien. Langsam bekam sie eine bessere Vorstellung von Corinne Wolff. Sie wusste, der beste Weg, um einen Mord aufzuklären, war, das Opfer zu kennen. Die Chancen standen gut, dass der Mörder aus dem Umfeld des Opfers stammte. Jemanden zu erschlagen deutete auf eine zutiefst persönliche Beziehung zwischen Täter und Opfer hin, genau wie der ungehinderte Zutritt zum Haus. Irgendjemand war auf
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