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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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dich frage?
    Er wartete. Aber es kam keine Frage. Sie lehnte sich im Stuhl zurück, schweigend. Jesper Humlin hatte das Gefühl, daß sie hinter ihrem Tuch weinte. Er hielt den Atem an und dachte, daß er gerade in diesem Moment Zeuge von etwas wurde, was er nie wieder erleben würde. Plötzlich streckte sie ihre Hand aus und drückte auf den Knopf eines Kassettenrecorders, der auf einem Tisch neben dem Stuhl stand. Für einen kurzen Augenblick war die Hand im Licht der Stehlampe zu sehen. Aus dem Kassettenrecorder kam keine Musik, nur Rauschen. Schließlich erkannte er, daß jemand das Meer aufgenommen hatte. Dünungen, die an einen Strand rollten, das ferne Donnern von Wellen an einem Riff.
    - Das ist das einzige, was mir Ruhe gibt, sagte Fatti. Das Meer, das rauscht.
    - Ich habe einmal ein Gedicht über ein Treibnetz geschrieben, sagte Jesper Humlin zögernd.
    - Was ist das?
    - Ein Fischernetz. Ich schrieb darüber, wie ich es tief unten in dem klaren Wasser sah. Ein Fischernetz, das sich losgerissen hatte und davontrieb. In dem Netz hingen eine tote Ente und ein paar Fische.
    - Wovon handelte das Gedicht?
    - Ich glaube, ich stellte mir vor, es sei ein Bild der Freiheit.
    - Daß die Freiheit immer auf der Flucht ist?
    - Vielleicht. Ich weiß es nicht.
    Sie saßen schweigend da. Das Meer toste.
    - Du hast Angst, daß ich dich frage, sagte sie nach einer Weile. Du hast Angst davor, daß ich dich bitten könnte, meine Geschichte zu schreiben. Du hast Angst, weil du weißt, daß du sie nicht schreiben kannst, ohne mein Gesicht gesehen zu haben.
    - Ich habe keine Angst.
    - Ich werde dich nicht fragen.

Sie verstummte. Er wartete. Aber sie sagte nichts mehr. Schließlich, als über dreißig Minuten mit Schweigen vergangen waren, sagte er vorsichtig:
    - Vielleicht sollte ich jetzt besser gehen.
    Fatti antwortete nicht. Jesper Humlin stand auf und verließ die Wohnung. Als er die Tür hinter sich zuzog, dachte er, daß der Duft, der die Wohnung erfüllte, Zimt sein mußte.
    Unten auf der Straße warteten Tea-Bag und Tanja. Sie betrachteten ihn aufmerksam. Tea-Bag beugte sich neugierig zu ihm vor.
    - Hast du ihr Gesicht gesehen?
    - Nein.
    - Ich habe es gesehen. Es ist, als hätte jemand Landkarten hineingeritzt. Inseln ausgeschnitten und Klippen und Fahrrinnen eingekerbt.
    - Ich will nichts mehr davon hören. Ruf ein Taxi. Wir müssen jetzt vor allem entscheiden, was mit dir geschehen soll. Wo du dich verstecken kannst.
    - Ich muß mich auch verstecken, sagte Tanja. Und Leyla. Alle müssen sich verstecken.
    Sie kehrten in das Haus zurück, in dem Torsten und Leyla warteten.
    - Wie lange können wir hier bleiben? fragte Jesper Humlin. - Es kann sein, daß morgen früh jemand kommt. Dann dürfen wir nicht mehr hiersein.
    - Dann bleiben uns nur ein paar Stunden, bis zur Morgendämmerung. Wer kommt?
    - Vielleicht eine Putzfrau.
    - Wann kommt sie?
    - Nicht vor neun.
    - Dann räumen wir um acht das Feld.
    - Wo sollen wir hin?
    - Ich weiß es nicht.

Jesper Humlin kehrte zu dem Sessel zurück, in dem er vor ein paar Stunden geschlafen hatte.
    Tea-Bag und Tanja verschwanden. Ich muß eine Lösung finden, dachte er. Ich weiß nicht, in was ich da hineingeraten bin, ich weiß nicht, wieviel Verantwortung ich eigentlich trage. Aber ich bin in dieser Sache hängengeblieben, wie wenn man mit dem Fuß in einer Eisenbahnschiene hängenbleibt und versucht, ihn herauszubekommen, während der Zug sich unerbittlich nähert.
    Er versuchte zu schlafen. Die ganze Zeit meinte er, die Frau mit dem hellblauen Tuch über dem Kopf zu sehen.
    Außerdem ruderten Tea-Bag und Tanja über ein Meer, das dieselbe Farbe hatte wie das Tuch.
    Die Morgendämmerung brach an. Er schrak auf. Noch immer wußte er nicht, was er tun sollte.

18
    E in Müllauto rumpelte auf der Straße vorbei. Jesper Humlin
    erhob sich aus dem Sessel, wo er vergeblich zu schlafen versucht hatte. Der Entschluß hatte sich von selbst ergeben, da er keine Alternative sah. Er ging hinauf ins Obergeschoß. Die Tür des Zimmers, in dem Tea-Bag und Tanja schliefen, war angelehnt. Tea-Bag hatte die Steppjacke ausgezogen, Tanja hatte sich zusammengerollt und sich ein Kissen aufs Gesicht gelegt. Tea-Bag erwachte mit einem Ruck, als Jesper Humlin das Zimmer betrat. Für einen kurzen Moment flackerte Angst in ihren Augen auf.
    - Ich bin es nur. Wir müssen jetzt gehen.
    - Wo sollen wir hin?
    - Das werde ich euch sagen, wenn sich alle da unten versammelt haben.
    Er verließ das Zimmer. Als er an

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