Tea-Bag
Mobiltelefone heraus, die nicht in der von der Polizei beschlagnahmten Tasche gelegen hatten.
- Du fragst, wie wir hier wegkommen. Wir sind gerade erst angekommen.
Jesper Humlin sah zu der dunklen Hausfassade auf. Er fühlte sich plötzlich elend.
- Ich will sie nicht treffen. Ich will keine junge Frau sehen, der man das Gesicht mit Säure zerstört hat. Ich kann nicht erkennen, wozu das gut sein soll.
- Sie hat ein Seidentuch vor dem Gesicht. Es ist dunkel im Zimmer. Du willst sie treffen. Du bist neugierig.
- Es ist mitten in der Nacht. Sie schläft.
- Sie schläft tagsüber. Nachts ist sie wach.
- Sie wird nicht aufmachen.
- Fatti wird glauben, daß es Leyla ist.
Die Haustür war offen. Im Lift hatte jemand ein Glas Kompott verschüttet. Fatti wohnte im obersten Stock. Tanja holte ihren Schlüsselbund mit den Dietrichen hervor. Tea-Bag verfolgte wachsam ihr Tun.
- Sollten wir nicht klopfen? Oder an der Tür klingeln?
- Mitten in der Nacht?
Tanja fing an, das Schloß zu bearbeiten. Jesper Humlin fragte sich, ob Leyla bei ihren Besuchen die Tür auch mit einem Dietrich öffnete.
Es klickte im Türschloß. Tanja schob die Tür auf und steckte die Schlüssel und Dietriche lautlos in ihren Rucksack zurück. Tea-Bag schubste ihn in den Flur. Dort roch es muffig, ein
Geruch wie von bitteren Beeren. Etwas Süßliches war auch dabei. Jesper Humlin fühlte sich an die eigentümlichen Gewürze erinnert, die seine Mutter gern in ihre nächtlichen Mahlzeiten mischte.
- Wer ist da?
Die Stimme kam aus dem Zimmer, das am Ende des Flurs lag. Ein schwaches Licht von den Straßenlaternen fiel durch einen Spalt in den schweren Gardinen.
- Sie wartet, zischte Tanja. Jesper Humlin widersetzte sich.
- Ich weiß nicht, wer sie ist. Ich will sie nicht sehen. Ich verstehe nicht einmal, was der Zweck unseres Besuchs ist.
- Sie hat ein Tuch vor dem Gesicht. Du bist es, mit dem sie reden will.
- Sie will überhaupt nicht mit mir reden. Sie weiß bestimmt nicht, wer ich bin.
- Sie weiß, wer du bist. Wir warten unten auf dich. Bevor Jesper Humlin reagieren konnte, waren Tea-Bag und Tanja aus der Wohnung verschwunden. Er wollte sich ihnen gerade anschließen, als er eine Gestalt in der Türöffnung ganz hinten im Flur sah.
- Wer ist da?
Ihre Stimme klang gebrochen, erinnerte aber trotzdem an die von Leyla.
- Ich heiße Jesper Humlin. Ich bitte um Verzeihung.
- Wofür?
- Es ist kurz nach zwei.
- Ich schlafe tagsüber. Ich habe darauf gewartet, daß du dich meldest.
- Wie bitte?
- Ich habe darauf gewartet, daß du dich melden würdest.
Fatti knipste die Stehlampe an, die in einer Ecke stand. Über den Lampenschirm war ein weißes Tuch gebreitet. Das Licht im Raum wurde nur geringfügig heller. Sie lud ihn mit einer Geste ein, näher zu treten. Hatte er sich verhört? Gewartet, auf
ihn? Ein dicker Teppich bedeckte den Boden im Wohnzimmer. Die Wände waren kahl, die Stühle schlicht, ein Tisch ohne Tischtuch, ein Regal ohne Nippes, nur ein paar Bücher und Zeitschriften. Fatti nahm ihm gegenüber Platz. Sie trug ein langes schwarzes Kleid. Der Kopf war unter einem hellblauen Seidentuch verborgen. Jesper Humlin ahnte die Konturen ihrer Nase und ihres Kinns. Aber der Gedanke daran, wie entstellt ihr Gesicht war, bereitete ihm Unwohlsein.
- Ich werde dir nicht zeigen, was er mit mir gemacht hat. Du mußt keine Angst haben.
- Ich habe keine Angst. Warum sagst du, daß du darauf gewartet hast, daß ich mich melde?
- Ich wußte, daß Leyla früher oder später von mir erzählen würde. Ich vermute mal, daß ein Schriftsteller gern das sehen will, was er nicht glaubt. Oder das, was er noch nie zuvor gesehen hat.
Jesper Humlin fühlte sich immer unangenehmer berührt. Er versuchte, an etwas anderes zu denken als an das Gesicht, das sich unter dem Stoff verbarg.
- Habe ich nicht recht? Bist du nicht der, von dem Leyla lernen soll? Neugierig zu sein? Wenn sie denn eine Schriftstellerin werden soll. Glaubst du, daß sie das Talent dazu hat?
- Das kann ich nicht beantworten.
- Warum nicht?
- Es ist noch zu früh.
Plötzlich beugte sich Fatti vor. Jesper Humlin erschrak.
- Wer erzählt über mich? Wer erzählt meine Geschichte?
Wenn sie jetzt bloß mich nicht bittet, dachte er. Dazu bin ich nicht in der Lage.
- Du könntest es vielleicht selber tun? sagte er vorsichtig.
- Ich bin kein Schriftsteller. Das bist du.
Es war, als könnte sie durch das Tuch hindurch direkt in seinen Kopf sehen.
- Hast du Angst, daß ich
Weitere Kostenlose Bücher