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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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aussah wie ein aufgeweichtes Stück Seife, das aber, wie er begriff, einer von den Duftblöcken aus der Pissoirrinne sein mußte. Irgendwann hatte er mal davon gehört, daß Urin in den wohlriechenden Blöcken Ammoniak freisetzte. Der dann als erniedrigendste aller Drogen in die Lungen eingesogen werden konnte. Trotzdem fiel es ihm schwer zu glauben, was er sah. Tanjas blanke Augen, das Papierhandtuch mit dem glitschigen bläulichen Block. Er versuchte sie hochzuziehen. Sie schlug ihm ins Gesicht und beschimpfte ihn auf Russisch.
    Ein Mann betrat die Toilette. Jesper Humlin brüllte ihn an, er solle die Damentoilette benutzen. Im Nu war der Mann verschwunden.
    Jesper Humlin prügelte sich weiter mit Tanja um den hellblauen Duftblock. Sie krochen auf dem Fußboden herum. Tanja fuhr ihm mit den Fingernägeln durchs Gesicht. Er geriet außer sich und packte sie mit festem Griff um die Taille, hob sie hoch und drückte sie gegen die Wand. Sie waren beide von oben bis unten mit Urin bespritzt. Er befahl ihr schreiend, sie solle sich beruhigen. Als sie hartnäckig Widerstand leistete und den Versuch machte, einen weiteren Duftblock aus der Pissoirrinne zu fischen, schlug er nach ihr. Jetzt bekam sie tatsächlich Nasenbluten und wurde vollkommen still.
    Er hörte, daß sich jemand näherte. Rasch zog er sie in eine der Kabinen und sperrte die Tür ab. Ein Mann kam herein, hustete und pinkelte dann lange. Jesper Humlin setzte sich auf die Kloschüssel und nahm Tanja auf den Schoß. Ihr Atem ging

schwer, die Augen waren geschlossen. Er fürchtete, sie würde gleich in Ohnmacht fallen. Der Mann hatte fertig gepinkelt und verschwand. Jesper Humlin schüttelte sie.
    - Was ist mit dir los? Warum tust du das? Tanja schüttelte den Kopf.
    - Ich möchte schlafen.
    - Wir können hier nicht sitzen bleiben, sagte er. Wir müssen etwas zu essen kaufen. Die anderen warten auf uns.
    - Nur einen Augenblick. So habe ich nicht mehr gesessen, seit ich klein war und auf dem Schoß meiner Tante schaukelte. - Wir sitzen auf einem Klo, sagte Jesper Humlin. Plötzlich stand sie auf und suchte an der Wand Halt.
    - Ich muß mich übergeben.
    Jesper Humlin drängte sich hinaus und schlug die Tür zu. Er hörte, wie sie sich erbrach. Dann wurde es still. Er öffnete die Tür und reichte ihr ein nasses Handtuch. Sie wischte sich das Gesicht ab und folgte ihm hinaus. In der Tür begegneten sie einem Mann, der gerade seinen Hosenstall zumachte. Neugierig musterte er Tanja und zwinkerte dann Jesper Humlin vielsagend zu, der in diesem Augenblick sehr nahe daran war, sich umzudrehen und ihm eine zu scheuern.
    Sie gingen hinaus. Tanja zeigte auf das Eingangstor eines Friedhofs, der auf der anderen Seite der Straße lag.
    - Können wir da hineingehen?
    - Wir müssen einkaufen.
    - Zehn Minuten. Nicht länger.
    Jesper Humlin schob das quietschende Tor auf. An einen halb umgeworfenen Grabstein mit verwitterter Schrift gelehnt saß eine alte Frau und schlief. Ihre Kleider waren zerlumpt, und um sie herum waren Plastiktüten und mit Wäscheleinen verschnürte Zeitungsbündel verstreut. Tanja blieb stehen und betrachtete sie.
    - Glaubst du, sie kann ein Telefon gebrauchen?

- Sie hat bestimmt niemanden zum Anrufen. Aber sie kann es natürlich verkaufen.
    Tanja nahm ein Handy aus der Tasche und legte es neben die Wange der Schlafenden. Sie setzten ihren Weg über den verlassenen Friedhof fort. Tanja ließ sich auf einer Bank nieder. Jesper Humlin gesellte sich zu ihr.
    - Vielleicht sollte ich diese Pennerin anrufen, der ich mein Handy geschenkt habe. Es ist ein schönes altes Wiegenlied, das gespielt wird, wenn das Telefon klingelt. Sie wird ein himmlisches Erwachen haben.
    - Besser du läßt sie weiterschlafen. Wozu soll sie aufwachen?
    Von Tanja kam ein Wimmern. Als hätte ein plötzlicher Schmerz sie überfallen.
    - Das darfst du nicht sagen. »Wozu soll sie aufwachen?« Wozu soll ich aufwachen? Soll ich wünschen, ich wäre tot? Das habe ich oft genug getan, ich bin auf Brückengeländern balanciert und war kurz davor, mich hinunterzustürzen, ich habe mir Spritzen in die Armbeuge gesetzt, ohne daß ich wußte oder daß es mich kümmerte, was ich mir da reindrückte. Aber zuinnerst wollte ich immer aufwachen. Glaubst du, ich habe da drinnen in der Toilette auf dem Fußboden gelegen, weil ich nicht wieder aufwachen wollte? Dann täuschst du dich. Ich wollte nur für eine kleine Weile weg sein, es ganz ruhig haben um mich herum, kein Wort, keine Stimmen, nichts.

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