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Tea-Bag

Tea-Bag

Titel: Tea-Bag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Kamera. Neben ihm stand ein Mann, der sehr groß und dünn war. Tea-Bag fand, er gleiche einer Palme, der Rücken war gekrümmt und er hatte eine buschige Mähne, die gesträubt war wie
    die Krone des Palmbaums. Fernando deutete auf Tea-Bag und ließ die drei allein. Tea-Bag lächelte. Der Mann, der einer Palme glich, erwiderte ihr Lächeln. Er hatte schlechte Zähne, wie sie sah. Der andere Mann hob die Kamera. Der Regenmantel raschelte.
    - Ich heiße Per, sagte der Palmenmann. Wir machen eine Reportage über Flüchtlinge. »Menschen ohne Gesicht« nennen wir sie. Sie handelt von dir.
    Etwas an der Art, wie der Mann sprach, veranlaßte Tea-Bag nicht nur zu erhöhter Wachsamkeit. Ihr Lächeln blitzte stärker als je zuvor. Sie war richtig wütend geworden.
    - Ich habe ein Gesicht.
    Der Palmenmann, der Per hieß, sah sie fragend an, ehe ihm klar wurde, was sie meinte.
    - Wir meinen das symbolisch. Als Bild. »Menschen ohne Gesicht«. Solche wie du, die versuchen, nach Europa zu gelangen, aber nicht willkommen sind.

Zum ersten Mal in den Monaten, die sie sich im Lager befand, verspürte sie plötzlich das Bedürfnis, es in Schutz zu nehmen, nicht nur das Lager und die rotäugigen Wächter, sondern auch die Schäferhunde, die dicken Frauen, die ihnen zu essen gaben, die Männer, die die Latrinen leerten. Alle wollte sie in Schutz nehmen, auf dieselbe Weise, wie sie all die Flüchtlinge in Schutz nehmen wollte, die sich im Lager befanden, und alle, die nie ihr Ziel erreicht hatten, die ertrunken oder ausgebrochen waren oder sich in äußerster Verzweiflung das Leben genommen hatten.
    - Ich will nicht mit dir reden, sagte sie. Nicht, ehe du dich nicht für die Behauptung entschuldigt hast, ich hätte kein Gesicht.
    Dann wandte sie sich an den Mann im Regenmantel, der dauernd die Position wechselte und Aufnahmen von ihr machte.
    - Ich will nicht, daß du Bilder von mir machst.
    Der Mann schrak zusammen und riß die Kamera herunter, als hätte sie ihn geschlagen. In diesem Moment erkannte Tea- Bag, daß sie möglicherweise einen Weg eingeschlagen hatte, der sie in die Irre führen würde. Die beiden Männer, die sie vor sich hatte, waren freundlich, sie lächelten sie an, und ihre Augen waren nicht von Müdigkeit gerötet. Rasch beschloß Tea-Bag, einen Rückzieher zu machen und ihnen zu erlauben, mit ihr zu reden, ohne daß sie sich bei ihr entschuldigten.
    - Ihr könnt mit mir reden, sagte sie. Und ihr könnt eure Bilder machen.
    Der Mann mit der Kamera knipste sofort wieder los. Ein paar Kinder, die nichts zu tun hatten und im Lager herumspazierten, blieben stehen und beobachteten das Geschehen. Ich spreche für sie, dachte Tea-Bag. Nicht nur für mich selber, sondern auch für sie.
    - Wie ist es? fragte der Mann, der Paul oder Peter oder vielleicht Per hieß.

- Wie ist was?
    - Hier zu sein?
    - Man behandelt mich mit humanem Wohlwollen. Das freut mich.
    - Es muß furchtbar sein, hier im Lager zu leben! Wie lange bist du schon hier?
    - Ein paar Monate. Oder tausend Jahre.
    - Wie heißt du?
    - Tea-Bag.
    Der Mann, der ihr die Fragen stellte, hatte immer noch nicht gesagt, ob er eine Tür für sie bereithielt, eine Tür, die er öffnen konnte, um sie hinauszuführen.
    - Wie bitte?
    - Ich heiße Tea-Bag. Auf die gleiche Art wie du Paul heißt.
    - Ich heiße Per. Woher kommst du?
    Achtung, dachte sie. Ich weiß nicht, was er will. Er kann eine Tür hinter seinem Rücken haben, er kann aber auch jemand sein, der mich zurückschicken will, jemand, der versucht, mir meine Geheimnisse zu entlocken.
    - Ich wäre beinahe ertrunken. Etwas hat mich am Kopf getroffen. Ich habe alle meine Erinnerungen verloren.
    - Hast du mit einem Arzt gesprochen?
    Tea-Bag schüttelte den Kopf. Warum stellte er all diese Fragen? Was wollte er? Wieder wurde sie mißtrauisch, zog sich zurück, so weit sie konnte.
    - In diesem spanischen Lager werde ich mit humanem Wohlwollen behandelt.
    - Das kannst du doch wohl nicht behaupten? Du sitzt hier doch wie in einem Gefängnis?
    Er hat eine Tür, dachte Tea-Bag. Er will herausfinden, ob ich es wert bin, sie zu benutzen. Sie mußte sich zurückhalten, um nicht zu ihm hinzustürzen und ihn zu umarmen.
    - Woher kommst du? Jetzt war sie es, die die Fragen stellte. - Aus Schweden.

Was war das? Eine Stadt, ein Land, der Name einer Tür? Sie wußte es nicht. Namen von Ländern und Städten summten ständig im Lager herum wie unruhige Bienenschwärme. Aber hatte sie den Namen »Schweden« schon mal gehört?

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