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Techno der Jaguare

Techno der Jaguare

Titel: Techno der Jaguare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manana Tandaschwili , Jost Gippert
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diesem jungfräulichen Wald war zwar alles künstlich, aber wer hätte nicht gern in dieser Trugwelt gelebt? In den Baumhöhlungen standen DJs, die sich beim Auflegen abwechselten, und auf den dicken Ästen der Bäume saßen Vögel. Pilze und Eicheln gleicher Größe in Hülle und Fülle … Blätter und Hasen, Schakale und Eichhörnchen, man stelle sich vor: sogar Rotkäppchen und ihr Körbchen.
    Auf einem großen Baumstumpf waren Drinks bereitgestellt. Gogona und ihre Gastgeberin begaben sich geradewegs dorthin – mit den Cocktails in den Händen begutachteten sie sich gegenseitig und konnten sich vor Lachen kaum noch halten. Mea war als Jäger verkleidet und hatte sogar ein großes Gewehr umgehängt. Gogona hatte es mit Hilfe der Secondhand-Klamotten fertiggebracht, das Halloweenfest jenseits des Atlantiks um einen Jaguar zu bereichern. ›Es soll bloß keiner behaupten, dass die Epoche des Optimismus in Amerika im Jahre 1963 geendet hätte‹, dachte sie für sich. Zum ersten Mal sah sie eine entstellte, völlig verrückt gekleidete Gesellschaft, die zugleich voller Optimismus und Zuversicht war. Mea machte Gogona mit ihren Freunden bekannt, und Gogona, wenn auch ein wenig irritiert, wehrte die üblichen Halloween-Tricks geschickt ab. Es gefiel ihr hier nicht besonders, aber das offen zu sagen, war ihr unangenehm, vor allem weil sich ihre Gastgeberin bestens zu amüsieren schien.
    Schließlich fand Gogona den idealen Ausweg. Sie ging zu einer der Baumhöhlungen und ließ sich in der Nähe eines der DJs nieder. Wenn sie jemand fragte, warum sie so depressiv sei, antwortete sie, sie sei gar nicht depressiv, sie höre bloß der Musik zu. Ihr Sitzplatz war wirklich sehr günstig, denn von hier aus konnte man beobachten, wie ein betrunkener Pilz und ein betrunkener Vogel miteinander knutschten. Und wie sie Purzelbäume schlugen – eine dekorative Fauna, die an Ammenmärchen glaubte, keine Alpträume hatte und nichts, aber auch gar nichts über Gogona wusste, die dem Wappentier ihres Heimatlandes ähnelte. Und hätte diese Ähnlichkeit nicht bestanden, dann wäre sie ja auch gar nicht hier gewesen.
    ›Keiner soll sagen, hier sei der Optimismus gestorben‹, dachte die ihrer realsozialistischen Gefühle beraubte Gogona.
    »Entschuldigung, haben Sie vielleicht eine Zigarette?« Ein DJ hatte seinen Kopf aus einer der Baumhöhlungen hervorgestreckt und sprach sie an. Ausgerechnet Gogona.
    Wer hätte ahnen können, wie sehr Gogona das noch bereuen würde. Diesen Tag. Diesen Wald. Und diese Zigaretten, die sie in der Tasche hatte.
    Gogona öffnete ihr Jaguar-Kostüm am Bauch und holte aus ihrer Handtasche ein Päckchen Zigaretten hervor.
    Der DJ starrte sie an. Natürlich starrte er sie an. Natürlich – hätte er sich nicht mit ihr aufgehalten, dann würden wir uns auch nicht mit ihm aufhalten.
    »Das steht dir gut, was du da anhast«, sagte der DJ grinsend. Dann reichte er ihr eine Pille. Gogona schluckte sie automatisch und trank ihren Cocktail hinterher.
    »Dir steht das auch gut, wo du drin stehst«, antwortete Gogona entschlossen.
    »Mir gefällt diese idiotische Party auch nicht …«
    »Woher willst du denn wissen, dass sie mir nicht gefällt?«
    »Das merkt man.« – Unerwartet für beide kam das Gespräch langsam in Fahrt.
    »Du bist kein Amerikaner, oder?«
    »Die Amerikaner haben keine DJs! Also bin ich auch keiner.« Der DJ lächelte Gogona noch gewinnender an, und ihr gefiel ganz offensichtlich, was er gesagt hatte. Sie zündete sich eine Zigarette an.
    »Du bist doch auch keine Amerikanerin. Europäer erkennen sich gegenseitig an ihrer Raffinesse.«
    »Machst du Witze, oder sehen das Urwald-DJs tatsächlich so?«
    Der DJ legte seine Titel auf. Gleichzeitig beobachtete er Gogona aus den Augenwinkeln. Langsam machten sich bei ihr nervöse Lippenzuckungen bemerkbar.
    »Woher kannst du eigentlich so gut Englisch?«, fragte der DJ, bevor er das Feld seinem Kollegen aus der Baumhöhlung gegenüber überließ und es sich neben Gogona bequem machte.
    ***
    Damals war Krieg, aber die Privatlehrer für Englisch kamen trotzdem zu ihren Schülern nach Hause. Das Haushaltsgeld war zwar knapp, aber jede Familie schaffte es doch, den Privatlehrern gastfreundlich Kaffee und Gebäck zu servieren. In Georgien herrschte eine regelrechte Hysterie – alle wollten Englisch lernen. Wie seltsam es doch ist, dass unsere Eltern, die naiven Kinder des sowjetischen Systems, auf einmal die Notwendigkeit dieser weltgewandten Sprache

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