Tee macht tot
noch anfingen, in fremden Zimmern zu sterben.
Doch was sollte mit dieser Frau passieren? Sie einfach in ihr Bett zu bringen, dieser Gedanke behagte Esther nicht sonderlich. Sie hatte nichts gemein mit den üblichen Teetrinkern, die friedlich in ihren Betten aufgefunden worden waren. Nicht auszudenken, wenn Agatha auf dem Friedhof gegenüber begraben werden würde, bei all den netten Leuten. Nein, Agatha hatte dies wirklich nicht verdient! Außerdem bedeutete das ebenfalls, dass sie sich jeden Montag über den Weg laufen würden. Bei diesem Gedanken schüttelte es Esther. Unschlüssig musterte sie die in sich zusammengesunkene Frau.
20 Minuten sagte keiner ein Wort. Immer wieder warfen sie einen nachdenklichen Blick auf die mittlerweile sehr steif wirkende Agatha. Es dauert einfach seine Zeit, bis man für ein derart schwieriges Problem eine adäquate Lösung zur Hand hatte.
„Wir brauchen deinen Rollstuhl.“ Ohne Ingrids Antwort abzuwarten, hob Esther den kleinen Krambambuli auf ihre Couch, klemmte ihre Arme unter Ingrids Achseln und versuchte, sie mit aller Kraft aus dem Stuhl zu heben.
Energisch schlug Ingrid auf Esthers Hand in dem Versuch, sich gegen diesen Überfall zu wehren. „Was tut sie denn da?“, keifte sie auf. „Sie wird mich noch aus dem Rollstuhl werfen!“
„Aber das will ich doch.“ Esther war entschlossen. Noch einmal schnaufte sie tief durch und wuchtete ihre Freundin aus dem Stuhl und ließ sie unsanft auf ihre Couch fliegen. Fast wäre Ingrid van Brekelkam auf die tote Agatha gefallen.
Reinhold saß einfach da, beobachtete die Aufregung und wunderte sich. „Hast du etwas Bestimmtes vor?“, wollte er träge wissen.
„Sicher, sonst müsste mir Ingrid doch nicht ihren Rollstuhl geben.“
Also wandte sich Reinhold an Ingrid. „Sei nicht so garstig! Esther hat einen Plan.“ Er half Ingrid dabei, etwas von Agatha abzurücken. Eine seltsame Genugtuung breitete sich in ihm aus, als er Agathas totem Blick begegnete. Nur tote Biester waren gute Biester!
„Ach“, ungehalten blitzte Ingrid Esther an und versetzte Agatha einen Stoß, dass sie umfiel. „Sie ist nicht ganz bei Sinnen!“
„Entschuldige!“ Esther sah ein, dass sie Ingrid doch besser, bevor sie sie aus dem Rollstuhl gezerrt hatte, von ihrem Plan unterrichten hätte sollen. Aber sie war ja selbst so derart über ihre Gedanken überrascht, dass sie vielleicht doch etwas zu euphorisch an die Sache herangegangen war.
Also weihte Esther die anderen in ihre Gedanken ein.
39
Die Nachtlichter der Fußbodenleiste wiesen die Bewohner darauf hin, dass es Zeit für die Nachtruhe war, deshalb lag auch eine angenehme Stille über dem dritten Stock, als Reinhold einen Spaltbreit die Tür öffnete und den Gang hinauf und hinunter spähte. Dann winkte er Esther zum Zeichen, dass die Luft rein war.
Ihre Füße ordentlich auf die Fußstützen platziert, damit sie nicht auf dem Boden mitgeschliffen wurden, spazierte sie mit Agatha im Rollstuhl zur Tür hinaus.
Ingrid, die immer noch auf Esther Couch saß, blickte den beiden leicht verärgert hinterher.
Die Reifen quietschten, als sie den fahrbaren Untersatz über den blank gewienerten Linoleumboden hinunter bis zum Aufzug schoben. Mit zitternden Händen betätigte Reinhold den Knopf, um den Lift zu holen. Leise hörte man den Motor selbst durch dessen Stahltüren summen. Nervös stand Reinhold davor und wartete, während Esther mit dem Rollstuhl hinter einem Wandvorsprung in Deckung ging.
Als sich die Türen endlich vor ihm öffneten, warf Reinhold vorsichtig einen Blick hinein und winkte Esther heran. In ihrer Nervosität, die nicht ungleich weniger als Reinholds war, hätte sie fast den Rollstuhl zum Kippen gebracht. Mit Reinholds Hilfe bugsierte Esther den Stuhl aber doch heil über die Aufzugschwelle.
Bisher war alles glatt verlaufen. Reinhold atmete erleichtert aus. Über die ganze Aufregung hatte er vergessen, an Frieda zu denken, doch nun, wo sie so stumm in den Keller hinabfuhren, trat sein Kummer wieder zum Vorschein.
„Ich muss meiner Frieda heute noch folgen“, flüsterte er bedrückt.
Esther sah ihn an und schwieg. Was war er doch für ein guter Mann, der Reinhold. Sie verstand ihn nur zu gut.
„Agatha bei ihr zu wissen, kann ich keine Minute länger aushalten. Sie wird meiner Frieda sicherlich auch im Jenseits das Leben schwer machen, da bin ich mir ganz sicher.“
Esther nahm seine Hand und lächelte ihm aufmunternd zu. Gegen seinen Wunsch
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