Tee macht tot
betrachtete die Regale, in denen der Heimwerkerkurs seine Basteleien aufgestellt hatte. Aus Salzteig geformte Figuren, so genau ließ sich das nicht erkennen, standen wie eine kleine Armee in Reih und Glied. Sicherlich waren diese, bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Gestalten selbst für den guten Zweck nicht mehr zu gebrauchen, weshalb sie wohl auch im hintersten Regal verharrten. Er hatte sich für diesen Kurs nie interessiert, viel lieber war er mit Frieda in dieser Zeit spazieren gegangen. Doch Esther ließ sich nie davon abhalten. Er öffnete eine Dose, die mit einer Kindersicherung versehen war. Er steckte seine Nase hinein und sog einmal tief die Luft ein, um den Inhalt zu analysieren. Aha Terpentin!, schlussfolgerte er; plötzlich setzte kurzzeitig sein Gehirn aus. Neblig nahm er die Umgebung wahr, was ihn zu einem Kichern hinreißen ließ. Da war die Dröhnung auch schon wieder vorbei.
Gelangweilt schlenderte Reinhold weiter. Ab und an hob er irgendetwas heraus und überlegte stirnrunzelnd, was er da gerade in Händen hielt. Vor Lore Lotters Brüsten blieb er länger stehen. Er konnte es sich nicht verkneifen, einmal hinzufassen. Beachtlich waren sie ja schon, stellte Reinhold anerkennend fest. Friedas Brüste waren so klein und zierlich gewesen, wie sie selbst, aber er hatte sie geliebt, und das tat er noch. Einmal in seinem Leben sollte ein Mann aber doch mal einen großen Busen angefasst haben. Frieda würde ihm das sicherlich gestatten. Mit beiden Händen fasste er frontal um das Gipsgebilde, und als er seine Hände so auf dem kalten Busen liegen hatte, meinte er, eine Bewegung aus seinen Augenwinkeln wahrzunehmen.
Vorsichtig machte er einige Schritte zurück, bis er das Regal mit den merkwürdigen Salzteigfiguren erreicht hatte. Die Größte und vermeintlich Schwerste hob er heraus und hielt sie abwartend über seinen Kopf, bereit, zuzuschlagen, wenn nötig.
Agatha starrte geradlinig vor sich hin und bewegte sich kaum merklich ein weiteres Mal. Einen Schritt, dann noch einen, schlich Reinhold auf sie zu. Bis zum Hals schlug sein Herz; er glaubte, dass es für einen kurzen Moment sogar ausgesetzt hatte.
„Beweg dich nicht!“, flüsterte er Agatha zu.
Doch Agatha, unbeeindruckt wie immer, rutschte noch ein Stückchen weiter von ihrem Stuhl.
Jetzt meinte Reinhold, es ganz genau zu sehen. Sie lachte ihn mit ihrem gehässigem Grinsen an.
Hilflos schaute Reinhold zur Tür. Wo blieben nur Esther und Ingrid? Ja er gab es zu, er hatte Angst. Schreckliche sogar! Schweißperlen traten ihm auf die Oberlippe. „Glaub mir, ich hau dir das auf den Kopf!“, warnte er.
Wieder machte sein Herz einen Satz. Die Neonröhren flackerten an der Decke und warfen seltsame Schatten auf Agathas Gesicht. Die Bosheit kroch ihr aus dem Kopf, fiel Reinhold unweigerlich ein.
Esther hatte ihr Zimmer erreicht.
Ingrid saß immer noch dort, wo Reinhold und sie sie zurückgelassen hatten. Ihren großen Hut auf dem Kopf war sie bereit, das Zimmer endlich zu verlassen.
Umständlich half Esther ihr dabei, sie wieder in den Rollstuhl zu setzen. Die Kraft, die ihr die Spontanität vorhin verliehen hatte, Ingrid daraus zu entfernen, hatte sie jetzt nicht mehr. Immer wieder versperrte der große Hut ihr die Sicht, was Ingrid fast einen Sturz auf den Boden beschert hätte.
„Nimm das blöde Ding endlich von deinem Kopf!“, schimpfte Esther keuchend und riss Ingrid den Hut vom Kopf. Ihr stets wohlsortiertes Haar riss sie gleich mit herunter. Zum Vorschein traten dünne Härchen, die kreuz und quer aus Ingrids Kopf wuchsen.
„Huch!“, entfuhr es Esther erschrocken und hielt in ihrer Bewegung inne.
„Nun weiß Sie es.“ Schützend hielt Ingrid ihre Hand über den Kopf. Ihres Geheimnisses beraubt, war sie den Tränen nahe.
„Das ist doch nicht schlimm“, entschuldigte sich Esther bedröppelt. „Hat nicht jeder Mensch so seine kleinen Geheimnisse?“
„Sie ist dennoch heute nicht ganz bei Sinnen!“, schimpfte Ingrid, riss Esther die Perücke aus der Hand und stülpte sie sich wieder über. Sie rückte ihren Rollstuhl zurecht und hievte sich allein hinein. Ohne Esther Hilfe ging es viel schneller. Liebevoll hob sie ihren Krambambuli auf ihren Schoß.
Mit geweiteten Augen stellte Esther fest, dass der Hund im Schlaf auf ihre Couch genässt hatte. Für heute hatte sie wirklich genug erlebt, um dieses Problem wollte sie sich später kümmern. Was Angesichts der toten Agatha im Keller ein sehr kleines Problem
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