Tee macht tot
unsensiblen Worte. Empört wandte sie ihren Blick auf die Scherben vor ihren Füßen. „Ach, jetzt sieh dir das an. Hast du nicht schon genug Unheil angerichtet?“, fragte Esther Friedrichsen erbost. „Jetzt sieh dir das an! Die Kamille kann man nicht mehr verwenden!“
Mit großen Augen starrte Agatha sie an. „Habe ich das Glas heruntergeschmissen?“
„Nein, aber du hast mich erschreckt.“ Esther Friedrichsen hätte jetzt gerne aufgeschrien, doch als sie den boshaften Augen von Agatha begegnete, unterließ sie es. Dieser Frau, die dem herrlich friedlichen Leben von St. Benedikta den Garaus gemacht hatte, wollte sie nur ungern diese Genugtuung geben. In ihrem Gehirn wurden sämtliche wohl sortierten Gedanken jäh durcheinandergewirbelt. Finster schaute Esther Agatha an, ließ ihren Blick erst über die Scherben, danach weiter zu ihren verbliebenen Kräutergläsern wandern. Am Donnerstagstee blieb ihr Blick haften. Den hätte sich Agatha wirklich verdient, überlegte Esther. Ihr ganzes Leben war sie mit anderen Menschen gut ausgekommen, hatte sich stets um deren Sorgen und Nöte gekümmert, doch mit Agatha war das Zusammenleben die reinste Hölle.
„Und, was wirst du nun tun?“, unterbrach Agatha Esther Gedankengänge. „Mich anzeigen, weil ich dich erschreckt habe und du tollpatschig das Glas auf den Boden fallen gelassen hast?“
Esther besann sich. Freundlich lächelte sie das böse Weib an. „Aber nicht doch!“ Sie trat auf Agatha zu und hakte sich bei ihr unter. „Wegen dieses kleinen Missgeschicks regt man sich doch nicht auf. Aber jetzt wo du es sowieso weißt, kann ich dir auch mehr über den Donnerstagstee erzählen.“ Ungeachtet der Scherben zog sie Agatha zu ihrer Couch und bat sie, Platz zu nehmen. Und obwohl das in ihre Tagesplanung so ganz und gar nicht passen wollte, holte Esther Friedrichsen zwei Gläser aus ihrer kleinen Küchenzeile und goss von ihrem Kümmelschnaps ein. Ein Glas reichte sie Agatha, die einigermaßen überrascht annahm, aber nicht trank.
Daraufhin ermunterte Esther sie, doch des Friedens willen einen zu trinken.
Skeptisch warf Agatha einen Blick in ihr Glas und sah dann Esther dabei zu, wie sie an ihrem Kümmelschnaps nippte. Etwas Seltsames passierte hier, aber Agatha wusste nicht recht, wie sie Esthers plötzliche Freundlichkeit zu deuten hatte. Sie spürte, dass die Lavendeltante etwas vorhatte. Nur was wusste sie nicht. Vielleicht hätte sie dann die Finger vom Schnaps gelassen.
Für den Frieden würde sie aber keinesfalls trinken, dann schon eher, um mehr über den Donnerstagstee erfahren zu können. Ein Geheimnis, das sicherlich von unschätzbarem Wert sein konnte. Jetzt trank sie ebenfalls.
Esther Friedrichsen reichte Agatha nach diesem Kümmelschnaps noch einen und noch einen. Erst wortkarg, später etwas lockerer begannen sie ein Gespräch, in dessen Verlauf die fiese Mitbewohnerin über ihr Leben sprach.
Esther zeigte das Mitgefühl, welches von ihr erwartet wurde, und empörte sich ebenfalls über die Ungerechtigkeiten des Lebens, die Agatha hatte ertragen müssen. Dann erzählte sie freimütig von ihrem Leichentee und dessen Zubereitung. Die fiese Agatha war so sehr daran interessiert mehr zu erfahren, dass sie vergaß, zurück auf ihren Stuhl zu kehren und die Bewohner zu drangsalieren.
Nach einer Stunde, in der Esther nicht zurück in Reinholds Zimmer kam, machte sich Ingrid Sorgen.
„Sie kommt gleich zurück“, entschuldigte sie sich bei Reinhold. Sie nahm sich ihren übergroßen Hut, setzte ihn akkurat auf ihren Kopf und rollte ihren Rollstuhl zur Tür hinaus.
Reinhold, der in Lethargie verfallen war, nickte nur und stierte wieder stumpfsinnig vor sich hin.
Was Ingrid als Erstes auffiel, als sie an Zimmer Nummer 9 vorbeirollte, war, dass Agatha nicht wie gewöhnlich auf ihrem Stuhl saß. Kurz blieb sie stehen, um dieses ungewöhnliche Bild auf sich wirken zu lassen. Doch rasch kam die Sorge. Wenn Agatha nicht hier saß, wo war sie dann? So schnell ihre Arme es vermochten, schob sie ihre Räder an, bis sie vor Esthers Zimmer wieder zum Stehen kam.
„Liebe Ingrid, komm doch zu uns!“, rief Esther fröhlich aus, als sie Ingrid entdeckte.
„Wollte sie nicht für Reinhold Tee machen?“, fragte Ingrid missgestimmt.
„Ja, das stimmt, doch da kam Agatha vorbei; unversehens waren wir im Gespräch. Du kannst dir nicht vorstellen, was die arme Frau alles durchmachen musste!“
Das interessierte Ingrid jedoch herzlich wenig. „Und was
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