Teeblätter und Taschendiebe
ansonsten hatte sich der Raum kaum verändert. Das intime zweisitzige Sofa, auf dem Max die Moral der jungen Witwe erfolgreich untergraben hatte, stand noch an derselben Stelle wie früher, und so nahmen die beiden ganz selbstverständlich darauf Platz.
»Was für ein angenehmer Abend«, bemerkte Sarah mit einem befriedigten kleinen Seufzer. »Ich bin heilfroh, daß eure Pensionsgäste verhindert waren, Theonia. Der arme Max wäre bei mir heute bestimmt nicht satt geworden.«
»Auf mich wirkt er alles andere als vernachlässigt.«
Theonia saß auf einem der Sessel, die vielleicht für die Versteigerung am Samstag ausgewählt worden wären, wenn Dolph und Mary sie nicht Sarah geschenkt hätten, und ordnete ihre Taftvolants. »Du mußt Brooks gleich unbedingt alles über die Beerdigung erzählen, Max. Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.«
»Sobald er wieder da ist.« In der Zwischenzeit begann er, die schlichte Trauerfeier zu beschreiben, weil Theonia sich dafür interessierte. Es tat ihm leid, daß er ihr nicht erzählen konnte, wie den Trauernden ihre selbstgebackenen Schokoladenplätzchen ge-schmeckt hatten, da er nicht lange genug dort geblieben war
»Und warum bist du so früh gegangen?« sagte Brooks, der sich inzwischen wieder zu ihnen gesellt hatte und schwach nach Spülmittel duftete. »Ich wäre geblieben.«
»Das wage ich sehr zu bezweifeln«, sagte Max. »Die ehemalige Lebensgefährtin von Lionels Gattin Vare hat nämlich die Erfrischungen gereicht.«
»Du meinst doch wohl nicht dieses merkwürdige Geschöpf namens Tigger, das einen aus seiner wirren Mähne anstarrt wie ein Vielfraß aus einem Gebüsch? Was in aller Welt hat die denn ins Center verschlagen?«
»Sarah hat ihr einen kleinen Job vermittelt. Sag du es ihnen, Kätzele.«
Sarah schilderte ein weiteres Mal, wie sie Tigger getroffen und zum CSRC mitgenommen hatte, und wie Osmond Loveday Tigger bei der Nennung des magischen Codewortes Kelling zur freiwilligen Helferin auserkoren hatte.
»Wahrscheinlich können wir Osmond in diesem Fall getrost vertrauen«, meinte Brooks. »Er hat zwar meistens keinen blassen Schimmer, für welchen guten Zweck er gerade tätig ist, aber er kennt alle Tricks, wenn es darum geht, andere einzuspannen. Seine Philosophie kann man gut mit dem Satz zusammenfassen: »Wer sich ausnutzen läßt, ist selber schuld.« Das soll nicht heißen, daß Osmond unehrlich ist. Er ist lediglich ein Genie, wenn es darum geht, andere für seine Zwecke auszunutzen.«
»Bei Tigger sollte er lieber vorsichtig sein«, meinte Sarah. »Ich halte sie für völlig unberechenbar - oder wenigstens ziemlich kurz davor. Ihr hättet hören sollen, wie sie heute morgen diesen Ashe angebrüllt hat.«
»Was hat sie denn gebrüllt?«
»Ich nähme die Wörter nicht mal in den Mund, wenn ich sie kennen würde. Ich kann dazu nur sagen, daß sie sich anscheinend mit den deftigeren elisabethanischen Dramatikern hervorragend auskennt.«
»Oder sehr viel mehr Zeit damit verbracht hat, an Straßenecken herumzulungern, als man es bei einer jungen Frau ihrer Herkunft erwarten würde«, schlug Theonia vor. »Obwohl ich diese Bemerkung eigentlich gar nicht machen sollte, da ich keine Ahnung habe, wo sie herkommt.«
»Das weiß keiner«, sagte Max. »Sarah kennt nicht mal ihren richtigen Namen.«
»Erwartet bloß nicht, daß ich euch da weiterhelfe«, sagte Brooks. »Ich habe mich mein Leben lang bemüht, Appie und ihren guten Werken tunlichst aus dem Weg zu gehen. Wenn es denn wirklich so wichtig ist, müßt ihr sie selbst fragen.«
»Appie ist momentan nicht erreichbar«, informierte ihn Theonia. »Sie besucht gerade einen Kurs in Tranzendentaler Meditation.«
»Wozu? Appie steht doch ohnehin immer mit beiden Füßen fest in den Wolken.«
Brooks strich über die Bügelfalten der etwas abgetragenen Hose seines Abendanzuges. Er hätte sich natürlich einen neuen Anzug kaufen können, doch wozu die Mühe? In seinem jetzigen Alter konnte er höchstens noch zwanzig bis dreißig Jahre an förmlichen Abendessen teilnehmen, also bei weitem nicht lange genug, um einen neuen Smoking angemessen aufzutragen.
»Morgen früh werde ich als allererstes Tante Appie anrufen und mich nach Tiggers Namen und Adresse erkundigen«, versprach Sarah. »Wahrscheinlich hätte ich es schon heute tun sollen, aber ich war zu sehr mit den Vorbereitungen für die Versteigerung beschäftigt. Theonia, hast du auch schon bemerkt, daß wir mit der ganzen Aktion
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