Teeblätter und Taschendiebe
sozusagen ein Monster losgelassen haben?«
Die ältere Frau lachte. »Besser ein Monster als einen Zwerg, liebe Sarah. Wir sollten uns wirklich keine Sorgen machen. Dolphs und Marys Arche ist so riesig, daß man darin spielend eine ganze Armee unterbringen könnte, und die beiden haben massenhaft Sachen, die sie versteigern können. Ich glaube, Mary würde sich freuen, wenn die Zimmer bis auf die Böden vollkommen leer würden. Wahrscheinlich würde sie das Haus am liebsten gleich mitversteigern, wenn dadurch nicht das Dienstpersonal arbeitslos würde.«
»Dann können wir ja beruhigt sein«, erwiderte Sarah. »Wir müssen nur dafür sorgen, daß Dolph genug Champagner hat, um einen Luxusdampfer darin schwimmen zu lassen, und Genevieve darauf vorbereiten, daß sie sich auf irgendwas zwischen hundert und tausend Gäste einstellen muß.«
»Tausend bestimmt nicht«, protestierte Theonia. »Mehr als drei-bis vierhundert können wir bei dieser kurzfristigen Einladung kaum erwarten, und das wären ohnehin mehr als genug.«
»Was auch passiert, Genevieve und Henrietta werden das Kind schon schaukeln«, versicherte Brooks. »Onkel Fred hat früher sein Personal immer mit kurzfristig anberaumten Empfängen konfrontiert, wenn er wichtige Würdenträger oder was weiß ich wen erwartet hat. Falls Essen übrigbleiben sollte, kann Mary es immer noch nächste Woche im Center verwerten. Und falls nicht genug dasein sollte, erklären wir den Gästen, daß es sich schließlich um eine Wohltätigkeitsauktion handelt und wir nicht so viel Geld für die Erfrischungen ausgeben wollten, daß nachher nichts mehr für den guten Zweck übriggeblieben wäre, was schon öfter vorgekommen ist. Beschäftigen wir uns lieber mit den wichtigeren Problemen. Sollten wir deiner Meinung nach diesem Ted Ashe mal auf den Zahn fühlen, Max?«
»Warum nicht?« sagte Max. »Ich würde jedem Menschen auf den Zahn fühlen, der etwas mit dem SCRC zu tun hat, wenn ich nur wüßte, wie ich es anfangen sollte.«
»Ich hätte da eine Idee«, sagte Cousine Theonia.
Kapitel 10
Einem aufmerksamen Beobachter wäre die kleine, ziemlich merkwürdige Prozession, die sich am nächsten Morgen durch den Boston Common bewegte, sicher nicht entgangen.
Die Anführerin war eine stattliche, attraktive ältere Dame, die einen schlichten, aber kleidsamen schwarzen Mantel, einen pflaumenblauen Turban und dazu passende pflaumenblaue Handschuhe trug. In der linken Hand hielt sie außer einer riesigen schwarzen Handtasche auch eine kleine weiße Papiertüte. Sie ließ sich in der Nähe der öffentlichen Toiletten auf einer Parkbank nieder, nahm Erdnüsse aus der kleinen Tüte und begann, sie geschickt und in aller Seelenruhe zu schälen. Offenbar beabsichtigte sie, einem ziemlich struppig aussehenden Grauhörnchen eine gesündere Kost zuteil werden zu lassen als die Chipstüte aus Plastik, an der es gerade ganz in der Nähe herumkaute.
Kurze Zeit später, als es der Dame gerade gelungen war, das Grauhörnchen von seiner undankbaren Tätigkeit abzulenken und zu sich zu locken, schlenderte eine sehr viel jüngere Frau, die ganz offensichtlich schwanger war, den Weg herauf. Sie trug eine Stofftragetasche, die auf einer Seite mit einer aufgestickten Schleiereule verziert war, und verschwand in der Damentoilette. Merkwürdigerweise schien es der stattlichen Grauhörnchenfreundin auf der Bank mit einem Mal keine Freude mehr zu bereiten, die lärmende Tierschar - zu dem struppigen Grauhörnchen hatten sich mittlerweile mehrere laut gurrende Tauben und eine launische Stockente gesellt - mit Leckerbissen zu versorgen.
Sie verteilte die restlichen Erdnüsse auf dem Boden, entfachte damit sofort einen gnadenlosen Kampf - die im Boston Common ansässige Fauna zeichnete sich anscheinend nicht gerade durch gute Tischmanieren aus - und begab sich ebenfalls in die Damentoilette. Die Schwangere kam wieder heraus, die Eulentasche immer noch in der Hand, und eilte von dannen, ohne das Grauhörnchen, die Tauben oder die aufgebrachte Ente auch nur eines Blickes zu würdigen. Auch die beiden geschmackvoll gekleideten Herren, die ihr entgegenkamen und in ernste philosophische Erörterungen versunken schienen, beachtete sie nicht, obwohl der größere der beiden Männer attraktiv genug war, um die Blicke der meisten Frauen auf sich zu ziehen, und der kleinere Mann interessanterweise große Ähn-lichkeit mit dem Grauhörnchen aufwies.
Im Gegensatz zu der werdenden Mutter, die es anscheinend
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