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Teeblätter und Taschendiebe

Titel: Teeblätter und Taschendiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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äußerst eilig hatte, ließen die beiden Herren sich sehr viel Zeit. Man hätte sogar den Eindruck haben können, daß sie trödelten. Falls sie allerdings gehofft hatten, auf die freigiebige Dame mit dem pflaumenblauen Turban zu treffen, mußten sie sich auf eine Enttäuschung gefaßt machen. Sie hatte wohl einen anderen Ausgang gewählt, denn obwohl die Männer eine geraume Zeit mit der Diskussion somatischer Feinheiten verbrachten, verließ nur eine sehr viel ältere Frau die öffentliche Damentoilette. Auch sie trug einen schwarzen Mantel, der jedoch schäbig und abgetragen wirkte und mit so vielen Erdnußschalen behaftet war, daß man beinahe hätte annehmen können, sie habe ebenfalls an der würdelosen Rangelei zwischen Hörnchen, Tauben und Ente teilgenommen. Sie trug rote Turnschuhe, die an den Seiten so große Löcher aufwiesen, daß man die dicken braunen Strümpfe darunter erkennen konnte. Ihr Kopf und ein Großteil ihres Gesichts waren unter einem ausgeblichenen, ehemals leuchtend gelbroten Schal verborgen, den sie sich tief in die Stirn gezogen hatte. Möglicherweise hatte sie empfindliche Augen, obwohl oder vielleicht auch gerade weil sie eine riesige billige Sonnenbrille mit blau-en Gläsern und einem geschmacklosen weißen Plastikgestell trug, das vielleicht vor einem Vierteljahrhundert modern gewesen sein mochte. Sie schlurfte über den asphaltierten Weg in Richtung Tremont Street davon und blieb immer wieder stehen, um in den diversen Abfallbehältern zu wühlen und ab und zu etwas, das sie gefunden hatte, in ihre abgenutzte Papiertragetasche zu stopfen.
    Die beiden Männer schenkten dem bemitleidenswerten Geschöpf ebensowenig Beachtung wie die jüngere Frau vorhin der Tierversammlung, sondern bewegten sich zielstrebig auf die Ecke Boylston und Tremont Street zu. Dort trennten sich ihre Wege, und der jüngere Mann ging in das Little Building, während der ältere die Straße überquerte und zuerst in Richtung Freimaurertempel und schließlich mit bedeutend schnelleren Schritten stadtauswärts weiterging. Als er den Ausgang der U-Bahn erreichte, traf er erneut auf die alte Frau, die gerade eine schmutzige alte Zeitung aufhob, um sie ihrer Sammlung hinzuzufügen. Wieder schenkte der Mann ihr keine Beachtung, sondern blieb am Zeitungsstand stehen und kaufte sich ein Wall Street Journal, während die Alte ihre Tasche nahm und die Winter Street in Richtung Washington Street entlang schlurfte.
    Auf den Straßen von Boston waren an diesem Tag noch mehr Abfallsammler unterwegs, einige wirkten ebenso ziellos wie die alte Frau, andere durchstöberten Körbe und Tonnen auf effiziente, systematische Weise nach potentiellen Sammelobjekten. Alle trugen irgendwelche Taschen oder Beutel, Plastiktragetaschen, alte Armeerucksäcke oder was ihnen sonst gerade in die emsigen Hände gefallen war. Diejenigen, die besonders geschäftstüchtig wirkten, besaßen kräftige braune Tragetaschen, auf denen in großen grünen Lettern die Aufschrift SCRC prangte.
    Der kleine Mann nickte anerkennend, als er die bedruckten Taschen bemerkte, und setzte seinen Weg fort. Beim Weitergehen beschäftigte er sich eingehend mit der Titelseite seines Wall Street Journals und blieb nur hin und wieder stehen, um auf den Innenseiten nach einem Artikel zu suchen, der ihn anscheinend besonders in-teressierte. Als er das zweite Mal stehenblieb, schlurfte zufällig gerade die alte Frau an ihm vorbei und warf einen begehrlichen Blick auf seine Zeitung. Er kümmerte sich nicht darum, faltete die Zeitung zusammen und klemmte sie sich unter den Arm, schaute kurz auf seine Armbanduhr und setzte seinen Weg fort. Anscheinend hatte er eine wichtige Verabredung mit seinem Broker.
    Es wäre müßig, die ziellose Wanderung der Alten Schritt für Schritt zu beschreiben. Wir wollen uns daher mit der Feststellung begnügen, daß die bedauernswerte Obdachlose - der schottische Dichter Burns hätte wahrscheinlich behauptet, der Teufel habe seine Hand im Spiel - ständig von einem der drei Fremden, denen sie so rein zufällig im Park begegnet war, aus einiger Entfernung begleitet wurde.
    Als sie durch den Quincy Market schlurfte, stand die junge Frau mit der Eulentasche zufällig an einem Stand ganz in der Nähe und schaute sich Kuscheltiere an. Ein roter Plüschelch mit beigefarbenem Samtgeweih schien es ihr besonders angetan zu haben, doch schließlich legte sie ihn wieder zurück und beschloß, ihn doch nicht zu kaufen, rein zufällig genau in dem

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