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Teeblätter und Taschendiebe

Titel: Teeblätter und Taschendiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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gelegt hatte, war ein stilles kleines Landschaftsbild, das Dolph in einem der Schlafzimmer, die nie benutzt wurden, von der Wand genommen hatte. Weder Onkel Fred noch Tante Matilda hätten es sonderlich gemocht, sagte er. Schlachtgemälde und Vergrößerungen von Fotos, auf denen er selbst wichtigen Persönlichkeiten die Hand schüttelte, waren eher nach Frederick Kellings Geschmack gewesen. Seine Gattin dagegen hatte eine ausgesprochene Vorliebe für riesige, düstere Ölgemälde gehabt, auf denen sich wilde Raubtiere gegenseitig zerfleischten.
    Max jedoch gefiel die kleine Landschaft so gut, daß er sie mit nach Hause nahm, um sie sich genauer anzusehen. Während Sarah zu Bett ging, begann er damit, vorsichtig die Oberfläche zu säubern und sorgfältig Zentimeter für Zentimeter mit der Lupe zu betrachten. Am nächsten Morgen erzählte er Sarah noch vor seinem obligatorischen Ferngespräch mit Marseille, was er herausgefunden hatte.
    »George Inness? Max, das ist ja wunderbar. Hältst du es für echt?«
    »Soweit ich sehen kann, ja, aber ich bin natürlich kein Spezialist, was die Amerikanische Schule angeht. Falls du heute morgen nichts Besseres vorhast, könntest du das Bild vielleicht zum Museum bringen und hören, was die dazu sagen.«
    »Liebend gern, aber möchtest du das nicht selbst übernehmen?«
    »Jemand muß schließlich hier die Festung halten.«
    »Was soll das nun wieder bedeuten? Wahrscheinlich, daß du wichtigere Dinge zu erledigen hast. Was steht denn heute alles auf dem Programm?«
    »Zuerst muß ich einige Anrufe erledigen.«
    »Wann mußt du das nicht? Schon gut, Liebling. Ich gehe hin. Aber was soll ich tun, wenn sie das Bild dabehalten wollen?«
    »Wenn sie es nur genauer untersuchen wollen, laß dir eine Bescheinigung ausstellen. Wenn sie es für ihre Sammlung einkassieren wollen, verlangst du einen Scheck. Sarah, versprich mir bitte, daß du nicht mit der U-Bahn fährst. Und geh nirgendwo allein hin. Laß dir ein Taxi kommen. Wickle das Bild in ein Handtuch oder so etwas und versteck es in einer Tasche.«
    »Ich soll es also mit meinem Leben schützen.«
    »Um Himmels willen, bloß nicht!« Max legte das kleine schwarze Buch, in das er immer sämtliche Notizen eintrug, lange genug beiseite, um seine Frau zärtlich zu umarmen, aus Rücksicht auf ihren momentanen Zustand allerdings äußerst vorsichtig. »Das Bild könnte wirklich einen ordentlichen Batzen Geld für Dolphs Projekt einbringen, wenn er uns erlaubt, es für ihn zu verkaufen.«
    »Das macht er bestimmt. Dolph schert sich keinen Pfifferling um Kunst, und Mary liegt viel mehr daran, für ihre Schützlinge zu sorgen als ihr eigenes Nest auszustaffieren. Ich stecke das Bild in die Tragetasche, die Tante Appie für mich bestickt hat. Die ist so häßlich, daß sie bestimmt niemand stehlen will.«
    »Hervorragende Idee. Okay, ich telefoniere schnell mit dem Museum und mache einen Termin für dich.«
    Während Max zum Telefon ging, öffnete Sarah ihren Kleiderschrank und überlegte, was man wohl am besten anzog, wenn man einen Inness auf seine Echtheit überprüfen ließ. Als sie unter der Dusche stand, rief Max Brooks an.
    »Hallo, Zorro. Hier Boston Blackie. Hättest du Lust, mit mir einen kleinen Ausflug zu unternehmen? Natürlich nur, wenn dir deine Gattin nicht gerade den Auftrag erteilt hat, Gänseblümchen für die Tischdekoration zu pflücken.«
    »Gänseblümchen blühen momentan nicht, und der Haushalt läuft wieder wie geschmiert«, lautete die fröhliche Antwort seines Lieblingskomplizen. »Was wollen wir denn Schönes anstellen?«
    »Jemanden kidnappen.«
    »Entzückend. Dann sollte ich dich vielleicht darauf hinweisen, daß dein Ex-Schlafzimmer momentan leer steht und Charles im Theater gerade die Rolle eines Gefängniswärters übernommen hat.«
    »Wie schön! Deine Rolle besteht darin, ein ehrwürdiges Mitglied des Kelling-Clans zu spielen. Einen Herrn mittleren Alters.« »Kinderleicht. Wann soll es losgehen?«
    »Sobald du ein Taxi mit Sarah als Fahrgast von hier losbrausen siehst. Sie hat um half elf einen Termin im Kunstmuseum, also bestelle ich das Taxi für zehn Uhr, unter dem fadenscheinigen Vorwand, daß es möglicherweise einen Stau geben könnte.«
    »Alles klar.«
    Max beendete das Telefonat und führte gerade ein ungezwungenes, harmloses Gespräch auf Französisch mit Pepe Ginsberg, als Sarah hereinkam. Sie trug ihr grünes Trägerkleid mit einer cremefarbenen Seidenbluse und Granny Kellings Eisvogelbrosche.

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