Teeblätter und Taschendiebe
sie sich ihrem Opfer näherten, lüpfte Brooks höflich besagten Hut.
»Mrs. Bickens? Wir hatten gehofft, sie hier anzutreffen. Ich bin Brooks Kelling, Dolph Kellings Cousin, und das hier ist Max Bittersohn, der Gatte meiner Cousine Sarah.«
»Wir kennen uns schon«, sagte Max aufgeräumt. »Dienstag morgen im Center. Ich schulde Ihnen sogar eine Tasse Kaffee, wenn ich es recht bedenke. Hätten Sie vielleicht Lust, etwas mit uns zu trinken? Hier soll es ganz hervorragende Milkshakes geben, habe ich gehört.«
Annie schenkte ihm ein Lächeln, mit dem sie früher im >Broken Zipper< wahrscheinlich nur die großzügigsten Trinkgeldspender beglückt hatte. »Stimmt genau.« Sie war als erste am Tresen.
Um diese Zeit war der Raum noch nicht voll. Am hinteren Ende des Tresens fanden sie sogar drei freie Barhocker nebeneinander, so daß man sich relativ ungestört unterhalten konnte. Annie bestellte sich ihren Milkshake und ein riesiges Stück Kuchen mit grünem Zuckerguß. Brooks bestellte sich Kräuterlimonade und einen Doughnut, zwei Köstlichkeiten, die in der Pension nie auf der Speisekarte standen. Max sagte, er wolle eigentlich lieber nur einen Kaffee.
Man plauderte über dieses und jenes. Max und Brooks bekundeten lebhaftes Interesse, was den Alltag im Center, besonders aber das Kommen und Gehen der einzelnen Mitglieder betraf. Max erwähnte auch die Versteigerung und die Vorbereitungen, die man bisher für das große Ereignis getroffen hatte. Harry Burr sei ihnen eine große Hilfe gewesen, teilte er Annie mit. Der >Broken Zipper< wurde mit keinem Wort erwähnt, bis Max schließlich die Rechnung bezahlt und Annie aus Macht der Gewohnheit zahlreiche Zuckertütchen eingesteckt hatte.
Schließlich kam sie selbst auf den Punkt. »Okay, Leute, jetzt mal ehrlich, was wollt ihr von mir?«
»Eine äußerst direkte Frage, die wir genauso direkt beantworten werden«, meinte Brooks, »aber nicht hier, wenn es Ihnen recht ist. Mrs. Kelling erwartet uns schon.«
»Jessas«, stöhnte Annie, »ich war doch eben erst im Center. Müssen wir etwa schon wieder den ganzen Weg zu Fuß gehen?«
»Keineswegs.«
Obwohl die Tulip Street nur einen Katzensprung entfernt lag, auch wenn in Wirklichkeit die meisten Katzen nie so weit sprangen, hielt Max es für das Beste, Annie so schnell wie möglich an einen sicheren Ort zu bringen, an dem sie sich wirklich unbeobachtet und ungestört unterhalten konnten.
»Wir nehmen ein Taxi«, versicherte er. »Wir brauchen nur bis zum Parker House zu gehen.«
Genau das taten sie, doch als Max dem Fahrer die Adresse mitteilte, schnappte Annie nach Luft. »Hey, was hat das schon wieder zu bedeuten? Sie haben doch eben gesagt, Mrs. Kelling wollte mich sprechen!«
»Tut mir leid«, entschuldigte sich Brooks. »Wahrscheinlich habe ich nicht deutlich genug gesagt, daß ich damit meine Frau, Mrs. Theonia Kelling, meinte. Sie wissen schon, die Dame, die für die Beerdigung die Schokoladenplätzchen gebacken hat. Oh, schaut mal, die Schwanenboote werden weggebracht.«
Brooks wußte eine Menge über die Schwanenboote, die großen Tretboote mit den stolzen weißen Schwänen und Bänken für die Fahrgäste, auf denen Generationen von Bostoner Kindern, Sarah und Brooks und sogar Dolph Kelling eingeschlossen, gesessen hatten und die Stockenten, die quakend hinter ihnen herschwammen, mit Popcorn gefüttert hatten. Brooks redete wie ein Wasserfall, so daß Annie keine Gelegenheit hatte, auch nur ein einziges Wort einzuwerfen, bis sie ihr Ziel erreicht und das Taxi verlassen hatten.
Theonia wartete in der Tat darauf, Annie Bickens zu begrüßen. Sie wollte auf keinen Fall riskieren, daß man sie als die alte Frau im schwarzen Mantel identifizierte, die gestern im Center aufgetaucht war, und hatte sich entsprechend gekleidet. Obwohl es noch nicht einmal Mittag war und sie längst noch nicht alle ihre hausfraulichen Pflichten erfüllt hatte, trug sie ein elegantes weinrotes Wollkleid mit einem ihrer vielgeliebten üppigen Spitzenkragen. Auch ihre schmalen Lederpumps und ihre Strümpfe waren weinrot. Dazu trug sie Perlenohrringe und eine ungewöhnliche Diamantbrosche am Spitzenkragen, die ein winziges Samuraischwert darstellte und wie so vieles ein Erbstück von Onkel Luzifer war.
Annie zeigte sich von soviel Eleganz völlig eingeschüchtert, doch Theonia brach sofort das Eis. »Mrs. Bickens, wie nett, daß Sie kommen konnten. Brooks, Liebling, kümmerst du dich bitte um Mrs. Bickens' Tasche und Jacke? Haben
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