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Teeblätter und Taschendiebe

Titel: Teeblätter und Taschendiebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte MacLeod
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andere Wahl geblieben war, als ihn zu töten.
    Die Mischung aus Zucker und Stärkemehl kam der Konsistenz von Heroin recht nahe. Brooks erwartete nicht, daß sie den Empfänger lange täuschen könnten, und war ziemlich sicher, daß niemand den Fehler machen würde, sich das Zeug in die Vene zu schießen. Es war eine knifflige Arbeit gewesen, die Mischung in kleinen Mengen von ungefähr einem Viertel Teelöffel in Papiertütchen zu füllen; doch nachdem er alle Tütchen in der Dose verstaut hatte, sah die Dose genauso aus und fühlte sich genauso an, wie er und Max es sich vorgestellt hatten. In Annies arg mitgenommener SCRC-Tragetasche müßte sie zwischen einigen von Brooks leeren Limonadendosen, diversen leeren Weinflaschen und einem Bündel Zeitungen eigentlich ein täuschend echter Köder sein.
    Eine halbe Stunde später befand sich der ältere Herr, der noch am Vortag sein finanzielles Waterloo erlebt hatte, wieder auf den Straßen von Boston. In der Zwischenzeit hatte sich seine Situation anscheinend noch dramatischer verschlechtert, denn offenbar war er gezwungen gewesen, seine ohnehin schon schäbige Kleidung gegen armselige, schmutzstarrende Lumpen einzutauschen. Auch sein Gesicht war schmutzig. Seine Hände sahen vermutlich noch schlimmer aus, waren jedoch nicht zu sehen. Ein letzter Funken von Stolz hatte ihn wohl veranlaßt, sie in speckigen alten Arbeitshandschuhen zu verstecken, wie sie ein Mann in einer weniger aussichtslosen Lage vielleicht getragen hätte, um diverse Arbeiten im Haus zu verrichten, wenn das Dienstmädchen an Zahnschmerzen litt und der Butler einen Vorsprechtermin hatte.
    Der bedauernswerte Mann mochte zwar verzweifelt sein, gab sich jedoch immer noch nicht geschlagen. Er trug eine bereits wohlgefüllte SCRC-Tragetasche, und an dem Eifer, mit dem er sich nach weiteren Sammelobjekten umschaute, konnte man erkennen, daß er sich seiner neuen Tätigkeit mit Herz und Seele verschrieben hatte.
    Aufgrund eines jener Zufälle, wie sie das Schicksal gelegentlich bereithält, erregte der ältere Herr auch diesmal das Interesse eines Fotografen. Es war allerdings kein Tourist im Tweedanzug wie am Vortag, sondern ein junger Mann, der etwas moderner - zumindest nicht unmodern - gekleidet war und Jeans und eine leuchtend rote Windjacke trug. Die Jeans saßen äußerst eng und sahen aus, als gehörten sie einem Neffen, der gelegentlich in der Wohnung seines Onkels übernachtete und der sich nicht darum scherte, wo seine Klamotten überall herumlagen. Die Windjacke trug auf dem Rücken den Aufdruck Boston University und hätte theoretisch ebenfalls zu den vernachlässigten Kleidungsstücken des hypothetischen Neffen gehören können.
    Zweifellos als Zugeständnis an den momentanen Spleen, die abgelegten Kleidungsstücke älterer Leute aufzutragen, trug der Fotograf an diesem Tag einen grünlichgrauen Filzhut, der schätzungsweise aus dem Jahre 1947 stammte und dessen Hutband die Feder eines Steinwälzers zierte. Unverständlicherweise schien er äußerst stolz auf seinen Federschmuck zu sein und hatte seine Kopfbedeckung so weit nach hinten geschoben, daß sein üppiger roter Schopf und die Sonnenbrille mit Spiegelglas noch mehr auffielen als dies ohnehin der Fall gewesen wäre. Wie viele rothaarige Menschen neigte der junge Mann zu starker Sommersprossenbildung. Einem Künstler wäre möglicherweise aufgefallen, wie gleichmäßig sie um den immensen kastanienbraunen Schnäuzer, der den Mund des Mannes völlig verdeckte, verteilt waren.
    Wer wäre schon auf die Idee gekommen, daß es sich bei den beiden Herren um niemand anderen als die bereits mehrfach erprobten Meister der Verkleidung Brooks Kelling und Max Bittersohn handelte? Höchstens Sarah, wenn sie entdeckt hätte, daß Max ihren Augenbrauenstift entwendet hatte, um sich mit Sommersprossen zu verschönern. Doch bis dahin hatten die beiden ihre Mission mit etwas Glück vielleicht schon erfolgreich beendet.
    Sie hatten eingehend die Informationen ausgewertet, die Annie ihnen über die Sammelgewohnheiten der einzelnen SCRC-Mitglieder gegeben hatte. Einige arbeiteten nach dem Zufallsprinzip, andere gingen methodisch vor. Die meisten entfernten sich vom Center nie mehr als ein bis zwei Meilen, da sie nicht mehr die Jüngsten waren und die gefüllten Tragetaschen ein ziemliches Gewicht hatten. Annie hatte ihnen verraten, wer zuverlässig und wer unberechenbar war. Außerdem wußte sie, wer heute lila Kleidungsstücke trug, denn sie hatte beim

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