Teeblätter und Taschendiebe
Frühstück alle gesehen, und Lila fiel ihr immer auf, da es, wie sie mehrfach betonte, ihre Lieblingsfarbe war.
Ein Mann namens Joe war zwar in einem lila T-Shirt erschienen, arbeitete aber heute im hinteren Zimmer und verließ das Center nicht. Ein Mann, den sie Frodo nannten, trug eine lila Baseballkappe, aber Frodo war ein unberechenbarer Spinner, dem keiner über den Weg traute. Daß er bis jetzt noch kein einziges Mal überfallen worden war, ließ darauf schließen, daß die Dealer diese Auffassung teilten.
Also blieb nur Phyllis mit ihrem lila Pullover übrig. Normalerweise war es eher unwahrscheinlich, daß jemand an zwei aufeinanderfolgenden Tagen überfallen wurde, doch Max und Brooks gingen davon aus, daß bei der Lieferung, die Chet Arthur transportiert hatte, einiges schief gelaufen war. Das konnte bedeuten, daß die Drogendealer mit ihrem Zeitplan hinterherhinkten und unter großem Druck standen, denn immerhin war die Woche schon fast vorbei. Zudem sprach nichts dagegen, Phyllis ein zweites Mal als Kurier zu benutzen.
Der Informant aus dem Center wußte bestimmt, daß Phyllis am Vortag sofort aufgehört hatte zu sammeln und ins Center zurückgekehrt war, um dort allen ihre Geschichte von der weggerissenen Tasche zu erzählen. Mr. Loveday hatte den Vorfall zweifellos aus rein formellen Gründen der Polizei gemeldet, doch die Polizei hatte wahrscheinlich nichts unternommen, weil es nun einmal nichts zu unternehmen gab. Mr. Loveday hatte Phyllis vorgeschlagen, heute eine andere Route zu nehmen, woraufhin Phyllis ihm laut und deutlich mitgeteilt hatte, wohin er sich ihrer Meinung nach seinen Vorschlag stecken konnte. In der
Achtung der anderen Mitglieder war Phyllis dadurch um einiges gestiegen, da ihr niemand ein so großes Vokabular zugetraut hatte. Allen guten Ratschlägen zum Trotz hatte sie darauf bestanden, heute dieselbe Route zu nehmen wie gestern, und wehe dem, der versuchen sollte, sie davon abzuhalten. Würde Phyllis, falls man ihr heute die Tasche an derselben Stelle und auf dieselbe Weise wie gestern abnahm, den Zwischenfall als festen Bestandteil in ihre tägliche Routine einbauen und den Dealern die Tasche freiwillig aushändigen? In diesem Fall hätte man den idealen Kurier gefunden, allerdings nur, solange keiner außer der zwanghaften Phyllis begriff, was passierte. Sobald sie den Empfänger der Dose kannte, würde man sie zum Schweigen bringen müssen.
Deshalb konzentrierte sich der Fotograf mit dem lustigen Hut und der engen Jeanshose auf die Ecke, an der Phyllis am Vortag die Graperoola-Dose aufgehoben hatte. Tatsächlich schlurfte die emsige Dame im lila Pullover kurz darauf in sein Blickfeld. Hinter der Ecke, um die Phyllis gleich biegen würde, lauerte bereits der heruntergekommene Mann mit der SCRC-Tasche. Wo aber steckte der flinke Läufer im lila Jogging-Anzug?
Vielleicht joggte er gerade fröhlich durch die Stadt. An der Ecke war nur eine Person zu sehen, die sich lässig an eine Straßenlaterne gelehnt hatte und einen haarigen Poncho und kräftige Wanderstiefel trug. Der Fotograf zückte die Kamera, achtete jedoch darauf, daß besagte Person ihn nicht bemerkte. Sie schien Phyllis gar nicht zu beachten, doch unter ihrem Poncho kam plötzlich eine Hand mit einer leuchtend lila Getränkedose hervor. Die Person hob die Dose an ihre Lippen, als wolle sie sich die letzten Tropfen ihres Getränks auf keinen Fall entgehen lassen, warf die Dose danach in den Rinnstein und trollte sich. Der Fotograf schoß mehrere Fotos.
Phyllis blieb stehen, schien einige Worte zu murmeln, die sehr wohl »Gelb, Orange, Rot, Grün, Lila?« hätten sein können, bückte sich und hob die Dose auf, um sie zu ihren übrigen Fundstücken zu stecken. Der Fotograf hörte auf zu knipsen und bog eilig um die Ecke.
Pünktlich wie ein Maurer trottete Phyllis über den Bürgersteig, prallte auf den zerlumpten Mann mit der SCRC-Tasche und wurde stinksauer. Die Art und Weise, wie sie ihren Unmut äußerte, entsprach genau der Schilderung von Bill Jones. Phyllis parkte ihre Tasche an einem Hydranten und packte den kleinen Mann am Kragen, als wäre er ein Eimer mit Wassereis, was dazu führte, daß er vor Schreck seine Tasche fallenließ. Sie schubste den Mann unter Beschimpfungen zur Ecke, teilte ihm lautstark und unmißverständlich mit, was sie davon hielt, wenn man ihr in die Quere kam, und ließ ihr sprachloses Opfer auf der Bordsteinkante sitzend zurück. Dann begab sie sich wieder zum Hydranten, schnappte
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